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Frau Beier und der Holzhammer

Auf Auktionen kann man das ein oder andere schöne Stück oder eben auch Nippes ergattern. Unterwegs auf zwei sehr unterschiedlichen Versteigerungen in Berlin

Von Karlotta Ehrenberg

Seinen Namen nennen will der Herr vor der Vitrine mit dem Berliner Porzellan nicht. Das eint ihn mit den anderen Kunden der hoch renommierten „Leo Spik Kunstversteigerungen“. Wer hier kauft, ist gut betucht und zieht es vor, anonym zu bleiben. Dem 80-jährigen Sammler hat es eine Porzellantasse angetan. Was an dem filigranen Tässchen so besonders ist, dass man sich dafür in einen Bieterstreit begibt und am Ende über 800 Euro hinlegt, wüsste außerhalb dieses Auktionshauses wohl kaum einer – sein Liebhaber dafür umso genauer: „Das ist eine Vedutentasse der Königlichen Porzellan-Manufaktur. Die ist in dem Moment gemacht worden, als das Berliner Schauspielhaus brannte.“ Das war 1817 und in dem Jahr ist das brennende Gebäude wohl auch auf die Tasse gemalt worden.

Ein Mitarbeiter schließt das gute Stück aus der Vitrine, der Kunde begutachtet es kritisch. „Der Unterteller ist nicht original“, stellt er fest. „Aber das macht nichts.“ Wahrscheinlich wird er also wiederkommen, wenn die Tasse unter den Hammer kommt. An diesem Montag wird bei Leo Spik nicht versteigert, sondern vorbesichtigt. Denn ehe man sich in den Bieterwettbewerb begibt, sollte man sich die Dinge gut ansehen und genauestens überlegen, was sie einem wert sind.

Die prächtigen, frisch renovierten Räume am Ku’damm sind bis unter die Decke mit kostbaren alten Dingen gefüllt: Dicht an dicht hängen dort Kunstgemälde aus mehr als sechs Jahrhunderten, die Böden sind mit schweren Teppichen ausgelegt und von den Decken hängen opulente Leuchten. Daneben gibt es antike Möbel, alte Bücher und Ikonen, Skulpturen, Schmuck, Uhren, Silber, Glas und Porzellan.

Besitz und Deutungsmacht

„Es ist oft schwer, den Finger runterzuhalten“, erzählt eine Frau, die sich nach einem 40-jährigen Berufsleben als Krankenschwester nun um Porzellanfiguren kümmert. Für größere Dinge fehle in ihrer vollgestellten Wohnung der Platz. „Manchmal ärgert man sich und denkt: das haste doch überbezahlt“, gibt die alte Dame zu. Die Freude über den Kauf macht das aber wett: „Jede Nacht, wenn ich aufwache, mache ich die Vitrine auf und gucke mir die Figuren an.“ Und so hat die Dame immer wieder „einen Tausender“ für diesen Spaß übrig.

Es sind nicht nur die Eigenschaften des Objekts – Material, die Art der Fertigung und der Zustand –, die den Wert bestimmen, sondern auch und vor allem seine Legende. Wie wurde es hergestellt und durch wen? Über all diese Geschichten wissen die Mitarbeiter von Leo Spik genauestens Bescheid, allesamt höchst distinguierte und gut ausgebildete Leute, in jedem Raum wartet mindestens einer davon.

Die Schmuckexpertin setzt einer Kundin soeben die Geschichte einer Miniatur auseinander. Die Kundin im mittleren Alter zeigt sich begeistert von der Feinheit des auf Elfenbein gemalten Mini-Porträts. Wird sie jubeln, wenn sie den Zuschlag bekommt? „Na ja, das ist schon ein großes Glück“, sagt die Frau, die sich als Kunsthistorikerin ausgibt. „Und noch ein größeres Glück ist es, wenn man es zu sich nach Hause trägt und dass es jetzt einem gehört.“

Die Inbesitznahme – das ist es, worum es bei einer Auktion geht. Das Angebot gilt nur ein einziges Mal, und kaufen kann nur der, der am meisten bietet. „Das ist wie so ein Jäger, der eine Beute haben will“, sagt eine Frau, die um zwei Barock-Stühle schleicht.

Zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten

Antiquitäten & Co. Laut IHK Berlin gibt es in Berlin 37 Auktionshäuser. Das Gros der Häuser versteigert Kunst und Antiquitäten, viele haben sich auf Münzen, Briefmarken und Militaria, einige auf Schmuck spezialisiert.

Nachlässe Andere Häuser bringen vorwiegend Nachlässe unter den Hammer, häufig im Auftrag eines gerichtlich bestellten Nachlassverwalters, dafür bedarf es eines öffentlich bestellten und vereidigten Auktionators. Dieser übernimmt auch die Versteigerung von Fundsachen, wie etwa der BVG.

Insolvenzen Die Versteigerung von – zumeist aus Insolvenzen stammenden – Industrieanlagen, Kfz und Maschinen macht einen weiteren großen Bereich des Auktionsgewerbes aus. Auch Immobilien und Grundstücke werden zwangsweise versteigert. (keh)

Schöne alte Dinge in einem Museum anzuschauen, reicht nicht, man will sie sein eigen nennen, sich ihrer „bemächtigen“. Ein typisches Verhalten für die Spezie Mensch, das sich schon an Kindern zeigt, die Steine, Stöcke und andere Schätze horten. „Mit dem Sammeln verschafft man sich Macht über die Dinge“, sagt die Kulturwissenschaftlerin Dr. Dagmar Hänel. „Ich entscheide, was ich sammle, wie ich das ordne und bewerte.“ Das gilt im Kleinen wie im Großen, für den einzelnen Sammler und das staatliche Museum gleichermaßen. Mit dem Besitz ist eine Handlungs- und Deutungsmacht verbunden.

Anders als man annehmen würde, geht es den Kunden von Leo Spik nicht in erster Linie um Statussymbole. Das Gros der Dinge, die hier versteigert werden, ist viel zu speziell, als dass sie sich zum Protzen eignen würden. Viele Käufe landen nach der Auktion in Schränken und Tresoren und geraten nur selten ans Licht. Es geht um eine andere, leisere Art des Luxus.

„Der Luxus ist, dass man sich das gönnen kann“, sagt Dr. Anja Gebauer, die bei Leo Spik für die neueren Gemälde und Zeichnungen zuständig ist. Die persönliche Bedeutung des Objekts spielt bei der Kaufentscheidung die entscheidende Rolle. „Jeder verbindet mit einem Objekt ganz besondere Erinnerungen.“ Nicht selten handelt es sich bei der Erinnerung auch um den Umstand, unter dem das Objekt erworben wurde, also die Auktion selbst. Während der Tassensammler von sich behauptet, keine großen Emotionen mehr beim Bieterstreit zu verspüren, so berichten die anderen Kunden von aufgeregtem Herzklopfen sowie einem großen Triumphgefühl, wenn der Hammer auf ihr Gebot hin schlägt. Und sie als Erste den Zuschlag für das begehrte Objekt bekommen. Man kann davon ausgehen, dass sie auch Jahre nach dem Kauf noch wissen, unter welchen Umständen und zu welchem Preis sie ihre Dinge erstanden haben – und wo: bei Leo Spik, am Ku’damm.

Kostbarkeiten für 50 Euro

Ortswechsel: Das Industriegebiet von Tempelhof. Es ist Dienstagmorgen und wie jede Woche drängen sich mehrere Dutzend Kunden durch die großen Lagerhallen des Auktionshauses Beier, um die Ware zu besichtigen. Anders als bei Leo Spik haben sie hier nur wenige Stunden Zeit, um die Auktionsware vorab zu sehen. Die Kunden hier sind es gewohnt: meist sind es Trödler. Mit geschultem Blick begutachten sie Möbel, Elektrogeräte, Fahrräder, Bücher, Schmuck, Klamotten und jede Menge Hausrat. Alles Hinterlassenschaften von verstorbenen Berlinern, die oft keine Erben, aber offene Rechnungen hinterlassen. Und die sollen mit dem Versteigerungserlös beglichen werden.

Gerahmte Fotos, Plüschtiere mit abgenutztem Fell und Widmungen in Büchern deuten darauf hin, dass diese Dinge für ihre ehemaligen Besitzer einmal lieb und teuer waren. Ein, zwei Industrieregale machen das gesammelte Leben eines Menschen aus. Jetzt werden sie im Paket verkauft. Startpreis 50, bis 100 Euro, je nach dem, wie viel Zeug es ist.

Viele Käufe landen nachder Auktionin Schränken

Auktionatorin Monika Beier ist fast ganz in Schwarz angezogen, was im Kontrast zu dem strahlenden Lächeln steht, dass sie meist auf den Lippen hat. Sie führt einen Holzhammer mit sich und eine Mappe. Darin stehen die Gebote, die bereits abgegeben wurden, außerdem dient sie ihr zum Draufschlagen. Frau Beier versteigert nämlich im Durchlauf. Sobald sie in der Halle erscheint, bildet sich ein Schwarm Menschen um sie, der ihr die nächsten Stunden nicht mehr von der Seite weichen wird. Gut, dass sie ein kleines Mikrofon trägt, so können auch die Hinteren sie verstehen: „Posten Hausrat, 2 Reihen, 50 Euro“, ruft Beier. Und schon kommen die Gebote: „Sechzig!“, ruft einer, der nächste hebt den Finger, siebzig, von hinten ertönt die Achtzig und ein gereckter Arm erhöht den Preis auf neunzig.

Butterdosen im Angebot

Beier hat sich angewöhnt, die Preise mit der Formel „Erster, Zweiter, Dritter“ zu wiederholen, statt „zum Ersten, zum Zweiten, zum Dritten“ zu sagen, und das ist auch sinnvoll, denn so schnell, wie das hier vonstatten geht, kommt sie ohnehin kaum hinterher. Bei 170 Euro ist Schluss. Endlich schlägt Beier mit dem Hammer zu, die Protokollantin nimmt die Bieternummer auf. Schon geht es zum nächsten Regal, und in dem Tempo weiter den ganzen Tag, bis der ganze Kram verkauft ist.

Monika Beier lacht oft und macht Scherze, ihr scheint die Sache sichtlich Spaß zu machen. „Klar hat die gute Laune“, sagt ein Trödler, der anonym bleiben will, „so wie die hier die Preise in die Höhe treiben.“ Immer wieder tritt er aus dem Bieterstreit zurück, die Preise werden ihm zu hoch. Viel kann er nicht kaufen. Und so bekommen manche der verwaisten Dinge dann doch wieder einen Besitzer, der sie in Ehren hält. Ein Herr gönnt sich eine Butterdose aus feinem Porzellan, Kostenpunkt: 10 Euro. „Eigentlich zu teuer“, sagt er, dann blickt er sein Döschen lächelnd an: „Aber schön ist sie.“

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