Proteste legen Bagdad lahm

Im Irak gehen Sicherheitskräfte mit Gewalt gegen DemonstrantInnen vor und töten zwei Menschen

Von Jana Lapper

An diesem Wochenende ging in der irakischen Hauptstadt Bagdad gar nichts mehr. Nicht auf den Straßen, die DemonstrantInnen mit parkenden Fahrzeugen und brennenden Reifen blockierten. Nicht in den Schulen und den Verwaltungseinrichtungen, die am Sonntag, eigentlich der erste Arbeitstag der Woche in dem mehrheitlich muslimischen Land, ihre Türen geschlossen hielten. Die LehrerInnengewerkschaft verlängerte ihren Streik von letzter Woche und auch SchülerInnen schlossen sich mit einem Sitzstreik an.

Und nicht auf der Al-Jumariyah-Brücke über dem Tigris, die den Tahrir-Platz mit der streng abgeriegelten „Green Zone“ samt den Regierungsgebäuden und ausländischen Botschaften verbindet. Dort hatten Sicherheitskräfte Barrikaden errichtet, um den Ansturm der DemonstrantInnen zu verhindern. Videos in den sozialen Medien zeigen, wie sich einige der Protestierenden schließlich unterhalb der Brücke entlanghangeln, um in den abgesicherten Bereich zu gelangen.

Ein neues politisches System

Die dramatischen Bilder zeigen, dass der seit einem Monat anhaltende Protest in Bagdad und anderen Städten Iraks eine neue Stufe erreicht hat. Auch an diesem Wochenende gingen Sicherheitskräfte gewaltsam gegen die DemonstrantInnen vor und feuerten unter anderem Gummigeschosse und Tränengas-Granaten auf sie. Zwei Menschen starben dabei. Seit Anfang Oktober wurden rund 250 Menschen getötet und Tausende verletzt. Laut Amnesty International verwenden die irakischen Sicherheitskräfte Tränengasgranaten, die besonders heftig sind: Sie sollen sogar Schädel durchschlagen können.

Die DemonstrantInnen fordern ein Ende der Korruption und der Arbeitslosigkeit im Land. Sie wenden sich mittlerweile gegen die komplette politische und religiöse Elite. Zwar hat Präsident Barham Saleh vorgezogene Wahlen und ein neues Wahlgesetz versprochen. Ministerpräsident Adel Abdel Mahdi kündigte laut Saleh an, zurückzutreten, sobald ein Ersatz für ihn gefunden sei. Das neue Wahlgesetz soll dem Parlament in der kommenden Woche vorgelegt werden. Doch das geht den DemonstrantInnen nicht weit genug – sie wollen ein neues politisches System und den „Sturz des Regimes“.

Zum Symbol dafür wurde ein leerstehendes mehrstöckiges Gebäude, das neben der abgeriegelten Tigris-Brücke thront und aus der Zeit Saddam Husseins stammt. Am Gerüst davor flattern mehrere überdimensionale irakische Flaggen, das Innere des Gebäudes haben Dutzende DemonstrantInnen erklommen. Man sieht sie an der offenen Fassade sitzen. Von hier aus überblicken sie die „Green Zone“ auf der einen Seite, den Sitz der alten Machtelite, und die Menschenmassen auf dem Tahrir-Platz auf der anderen Seite, die auf tief gehende Veränderungen drängen. (mit afp)