piwik no script img

Working-Class-Wahlverwandtschaften

Sally Rooneys Debüt „Gespräche mit Freunden“ war eines der Hype-Bücher der Saison. Hält der Millennial-Roman, was die Feuilletons flüstern?

Von Nina Apin

Jede Literatursaison hat ihre Handvoll Hype-Bücher. In Deutschland gehört dieses Jahr Sally Rooneys Debüt „Gespräche mit Freunden“ dazu, das vor einigen Wochen allerorts abgefeiert wurde. Es ist gewissermaßen ein Sekundär-Hype: Im Ersterscheinungsjahr 2017, als Rooneys Buch im Original erschien („Conversations with Friends“), war bereits die Literaturwelt Großbritanniens entflammt. Sie erhielt die Auszeichnung „Young Writer of the Year“ und wurde zur Stimme der Millenial-Generation ausgerufen. Man mag von dem Generationen-Etikett halten, was man will, aber neugierig macht es in jedem Fall auf die Lektüre: Was hat dieser Roman, was hat diese gerade mal 28-jährige, aus dem ländlichen Irland stammende Autorin an sich, dass es KritikerInnen und BuchkäuferInnen derart begeistert?

Auf den ersten Blick versteht man die Euphorie nicht ganz: Der Plot ist nicht gerade außergewöhnlich und schnell umrissen: Zwei Freundinnen, die früher mal ein lesbisches Paar waren, lassen sich in Dublin durch ihr Studentinnendasein treiben: Sie schreiben akademische Essays, jobben und abends treten sie als Spoken-Word-Duo auf: Die exzentrische Bobbi ist zuständig fürs Performen, die Ich-Erzählerin Frances schreibt zu Hause Texte und leidet ansonsten öfter mal an ihrer Unscheinbarkeit. Als die beiden das (wesentlich ältere) glamouröse Kultur-Ehepaar Melissa und Nick kennen lernen, entwickeln sich allerlei amouröse Komplikationen. Nichts Neues unter der Sonne also, Boy meets Girl, verheirateter Mann beginnt Affäre mit 21-Jähriger, mit sämtlichen Begleiterscheinungen, die dazu gehören: Erst knistert es, dann passiert es. Hinterher wird viel geraucht. E-Mails und beredte Blicke fliegen hin und her, Eifersuchtsszenen spielen sich ab.

Man könnte dies alles etwas langweilig finden, aber: geht nicht. Sally Rooney hat es einfach drauf, das, was schon tausendmal erzählt wurde, irgendwie frisch und elektrisierend klingen zu lassen. In erster Linie liegt das an ihrer Begabung für präzise beobachtete Situationen. Nur ein paar Sätze, und man ist mittendrin: „Sag nicht‚ ‚nur bisexuell‘, sagte sie. Frances ist bisexuell, weißt du. Das wusste ich gar nicht, sagte Melissa. Ich nahm einen tiefen Zug von meiner Zigarette, bevor ich etwas sagte. Ich wusste, dass alle auf meine Antwort warteten. Na ja, sagte ich. Ich bin wohl so eine Art Allesfresser. Melissa lachte darüber. Nick sah mich an und lächelte amüsiert, sodass ich schnell wegsah und so tat, als würde ich mich sehr für mein Glas interessieren. Ich auch, sagte Melissa. Ich merkte, dass Bobbi von dieser Aussage begeistert war.“

Das liest sich flüssig weg – und ist doch nicht seicht. Denn von Anfang an hat die Autorin, die sich selbst als Marxistin versteht, geschickt Zwischenebenen eingezogen in diesen Text, Querverweise auf die Verfasstheit der irischen Gegenwartsgesellschaft, auf Geschlechterrollen und Klassenunterschiede. Als Frances zum ersten Mal bei Nick und Melissa zu Besuch ist, denkt sie: „Das ist ein ganzes Haus. Eine Familie hätte hier Platz.“ Als er zum ersten Mal für sie kocht, lässt sie sich nicht anmerken, dass entspannte Abendessen mit Auberginegerichten nicht zu ihren selbstverständlichen Erfahrungen zählen – sondern eher das angespannte Lauern am Küchentisch, ob der Vater wieder seine „Launen“ hat und die Küche kurz und klein schlagen wird.

Frances ist, im Gegensatz zu den drei anderen, die aus wohlhabenden bis reichen Verhältnissen stammen, ein Kind aus einer Arbeiterfamilie. Beim Rotwein, bei Diskussionen über Literatur und „Lohngefälle-Feminismus“ verschwinden diese Unterschiede zeitweise. Und doch sind sie da. Und elementar: Frances’alkoholkranker Vater wohnt allein in einem Drecksloch und vergisst immer wieder, seiner Tochter Geld zu überweisen. Frances verhungert fast. Als sie krank wird, bleibt ihr nur der National Health Service – und das bedeutet: Monatelanges Warten auf die klärende Untersuchung.

Auf den erstenBlick versteht man die Euphorie nicht ganz

Der Kaschmir tragende Schauspieler Nick kennt solche Probleme nicht – und auch nicht die Selbstzweifel, mit denen sich Frances quält: „Ich gehörte nicht in die Häuser reicher Leute. Ich wurde nur wegen Bobbi dorthin eingeladen, die überall hingehörte und etwas an sich hatte, was mich in ihrer Gegenwart unsichtbar machte.“ Das Klassen- und Machtgefälle in dieser aparten Viererkonstellation kommt im Lauf der Handlung immer wieder zum Vorschein- und wird doch nie vordergründig Thema. Die in Rollenbildern und Spracharmut erstarrte Familienkonstellation von Frances’Elternhaus wirkt wie aus einer Neuauflage des britischen Post-Working-Class-Romans. Doch das sind nur kleine Anspielungen. „Gespräche mit Freunden“ lässt sich auch verstehen, ohne seinen Sillitoe oder Irvine Welsh gelesen zu haben.

Schwerer lassen sich die vielen postfeministischen und gendertheoretischen Hinweise ignorieren, die mitunter etwas Aufgesetztes haben: „Um jemanden im Kapitalismus zu lieben, musst du alle lieben. Ist das Theo­rie oder nur Theologie? Wenn ich die Bibel lese, stell ich mir dich als Jesus vor, also ist ohnmächtig werden in der Kirche doch eine Metapher“, schreibt Frances auf dem Höhepunkt ihrer Verzweiflung an Bobbi. Doch verzeiht man ihr das nervig-pseudointellektuelle Gelaber dann wieder, wenn sie sich wie ein unsicherer Teenager ihres Körpers schämt. Oder versucht, cool zu tun, obwohl sie gerade ohne Kondom gevögelt wird, von einem elf Jahre älteren verheirateten Mann, und dabei weint.

Und man verzeiht diesem Buch und der Autorin auch das Vage, diese komische Unschärfe, mit der sie einem eine vernünftige Charakterzeichnung ihrer Figuren vorenthält. Denn die Geschichte behält auf über 300 Seiten ihre Spannung, und die Sexszenen sind ziemlich gut. Und das ist wirklich selten.

Sally Rooney: „Gespräche mit Freunden“. Aus dem Engl. v. Zoë Beck, Luchterhand Verlag, München 2019, 384 S., 20 Euro

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen