piwik no script img

O Mann, Dortmund!

Das Debakel in München zeigt Borussia auf, dass die populistische Debatte um die fehlende Einstellung deutlich zu kurz greift

Aus MünchenDaniel Theweleit

Blanker Zorn schlug den Dortmunder Spielern entgegen, als das Grauen überstanden war. Fäuste wurden durch die kühle Novemberluft geschwungen, die Gesichter waren wutverzerrt, die Leute dort oben im Gästeblock hatte kein Interesse an irgendeiner Form des Trostes. Der BVB war wieder einmal beim FC Bayern untergegangen, mit 4:0, „in dieser Höhe komplett in Ordnung“, wie Michael Zorc etwas später sagte, ohne eine Erklärung für diesen neuerlichen Totalabsturz zu finden.

„Fragen Sie die Spieler“, sagte der Sportdirektor mehrfach, auch in seinen Worten war der Zorn nicht zu überhören. Tagelang hatten die Verantwortlichen über die Haltung gesprochen, mit der so ein Topspiel bestritten werden muss, das Ergebnis war eine „Nicht-Leistung“, konstatierte Zorc, der die Mentalitätsdebatte, die nun wieder aufflammen wird, mit einem geschickten Winkelzug umschiffen wollte.

Vor der Partie hatte er in einem flammenden Plädoyer „Männerfußball“ verlangt, nun hatten die Spieler erneut mutlos agiert. Auf die Frage, warum seine Forderung nach einer von Energie und Widerstandskraft geprägten Spielweise derart ins Leere gelaufen war, erwiderte er: „Das war überhaupt kein Fußball.“ Das Problem sei das Verhalten „im eigenen Ballbesitz“ gewesen und nicht die Härte der Spieler gegenüber sich selbst und dem Gegner. Damit schwenkte Zorc auf die Linie des Trainers ein, dem die Kontroversen über die Einstellung der Profis, die sich hinter dem Begriff „Männerfußball“ verbirgt, auf die Nerven geht.

Favre war entsetzt über die schwerwiegenden fußballerischen Defizite seines Teams, dessen spielerische Fähigkeit bisher eher selten als Problem beschrieben worden war. „Es war zu langsam, viel zu langsam“, sagte der Schweizer, statt im Spielaufbau „schneller“ und „einfach“ zu agieren, habe der BVB „unglaubliche Ballverluste“ fabriziert. Besonders gruselig war der Auftritt von Jadon Sancho, dem vor Robert Lewandowskis 1:0 ein von demonstrativer Lustlosigkeit geprägter Ballverlust nahe dem eigenen Strafraums unterlaufen war. „Jadon,! Jadon!“, rief Favre immer wieder, um den irrlichternden Engländer zu mehr Engagement zu bewegen, Sancho schaute nicht mal rüber. Nach 35 Minuten wurde er ausgewechselt.

„Keine Toptruppe“

Manche Beobachter vermuteten die muskulären Probleme aus den Tagen zuvor könnten die Erklärung für diesen Auftritt Sanchos gewesen sein, Favre jedoch sagte: „Man hat das gesehen: Er war einfach nicht gut genug. Er war nicht verletzt.“ Damit haben sie in Dortmund neben der Mentalitätsdebatte eine Diskussion über fußballerische Defizite eröffnet, die sich zeigen, wenn ein Gegner so gut presst, wie der FC  Bayern an diesem Abend. Wobei diese Bereiche womöglich gar nicht zu trennen sind. Wenn ein Team in sich funktioniert, wenn der Geist der Mannschaft gesund ist, wenn die Spieler echte Freude an der gemeinsamen Arbeit haben, dann entfalten sich die spielerischen Potenziale in den meisten Fällen genauso wie die Bereitschaft zum Kampf.

Beim BVB gelingt das nur in einzelnen Spielen und nie über 90 Minuten, was Mats Hummels, den noch besten Dortmunder zu einer bemerkenswerten Grundsatzerkenntnis führte: Dieser Abend sei „ein Zeichen für uns, dass wir selber keine Toptruppe sind“, sagte der Innenverteidiger. „Wir können eine sein, an guten Tagen. Aber eine absolute Topmannschaft ist das auch an schlechten Tagen. Und das schaffen wir vor allem auswärts zu selten.“

Diese Einsicht wirft Fragen auf: Haben die Klubbosse die Qualität des Kaders falsch eingeschätzt, als sie im Sommer das Ziel ausgaben, deutscher Meister werden zu wollen? Oder wächst die Gruppe einfach nicht zu einem Kollektiv zusammen? Nicht zu übersehen ist, dass viele Spieler ziemlich genervt sind von Jadon Sancho, der seit Wochen unter seinen Möglichkeiten spielt, sich aber wie ein Superstar verhält, der sich fast alles erlauben darf.

Aber auch Marco Reus wirkt unglücklich, vor allem wegen seiner Verletzungen, die Euphorie des Kapitäns in Bestform, die das Team im vorigen Jahr häufig beflügelte, fehlt. Und die allgegenwärtigen Zweifel am Trainer bleiben vermutlich auch nicht ohne Wirkung auf die Spieler, wobei Favre an diesem Tag explizit geschützt wurde. „Den Trainer würde ich komplett rausnehmen“, sagte Zorc, „fragen Sie die Spieler, die sollen diese Leistung erklären.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen