: Erleichterung nach langer Achterbahnfahrt
Die FDP kommt erstmals nach zehn Jahren wieder in einen ostdeutschen Landtag. Eine Zusammenarbeit mit der Linken schließt sie aus
Thomas Kemmerich, FDP
Aus Berlin Martin Reeh
In den Stunden vor Mitternacht war die Webseite des Landeswahlleiters in Erfurt am Sonntag mitunter nur schwer zu erreichen. FDP-Mitglieder klickten beständig auf den Refresh-Button, um zu sehen, ob die Liberalen inzwischen über der Fünfprozenthürde lagen. Als um 23.50 Uhr der letzte Wahlkreis ausgezählt war, hatte die FDP 5 Stimmen mehr bekommen, als für den Einzug in den Landtag notwendig waren.
Es war ein Abend der langen Achterbahnfahrt: Noch um 18 Uhr hatten die Prognosen zumindest des ZDF die FDP bei sicheren 5,5 Prozent gesehen. Spitzenkandidat Thomas Kemmerich bedankte sich auf der Wahlparty früh öffentlich bei seinem Team, für einen Moment versagte seine Stimme vor Rührung. Das Ergebnis bedeutete den ersten Einzug der Liberalen in einen ostdeutschen Landtag seit 2009. Später rutschte die FDP in Hochrechnungen auch beim ZDF Richtung 5 Prozent, bei der Live-Auszählung des Landeswahlleiters stand sie nach 22 Uhr auf 4,99 Prozent. Erst die letzten Wahlkreise sicherten den Sprung in den Landtag. Am Montagmorgen, bei der Pressekonferenz in Berlin, wirkte Kemmerich müde: „Es war eine kurze Nacht“, sagte er.
Für die FDP wäre es am Montag unbequem geworden, hätte Mike Mohring nicht kurz zuvor die Idee eines Bündnisses mit der Linken ins Spiel gebracht. Ohne die Kursänderung des CDU-Spitzenkandidaten wäre der Druck auf die FDP zur Duldung einer rot-rot-grünen Landesregierung gestiegen, obwohl die FDP in Thüringen einen scharfen Anti-links-Wahlkampf mit dem Versprechen, Rot-Rot-Grün zu beenden, geführt hatte.
„Wir werden mit Herrn Ramelow nicht über ein Bündnis oder eine Koalition sprechen“, bekräftigte Kemmerich am Montagmorgen. „Nicht alles, was arithmetisch möglich ist, ist sinnvoll.“ Parteichef Christian Lindner schickte die CDU zur Koalitionsbildung vor: Wenn eine Koalition aus „staatspolitischer Verantwortung“ gebildet werden müsse, sei es „in der Praxis immer eine Große Koalition gewesen“. Die Entscheidung über ein Bündnis der FDP mit Ramelow liege aber bei den Thüringer Liberalen, sagte Lindner.
Doch dort ist das Bedürfnis nach einer Zusammenarbeit mit der Linken gering. Kemmerich hatte kurz vor Beginn des Wahlkampfs einen Brief an Lindner geschickt, in dem er vor einem linksliberalen Kurs der FDP warnte. Die Ostdeutschen wollten eine FDP, die „klare Kante“ zeige und reale Lösungen liefere: „Lösungen, die die Lebenswirklichkeit der Menschen erkennt und anerkennt – auch jenseits urbaner Zentren wie Berlin, Hamburg oder Köln“, schrieb Kemmerich.
Während die FDP in Thüringen für mehr Polizei warb und gegen Greta Thunberg polemisierte, grenzte sie sich zugleich von der AfD ab: „Endlich eine Glatze, die in Geschichte aufgepasst hat“, warb die Partei für den kahlköpfigen Kemmerich.
Scheitert ein Linken-CDU-Bündnis, bliebe noch die Möglichkeit einer Minderheitsregierung. Lindner verwies in diesem Zusammenhang auf die Erfahrungen aus NRW, wo Rot-Grün von 2010 bis 2012 mit wechselnden Mehrheiten regiert hatte. „Beim Haushalt ist die Regierung gescheitert, aus den Neuwahlen ist die FDP gestärkt hervorgegangen.“ Auch Kemmerich schloss zwar nicht aus, einzelne Gesetzesvorhaben der Regierung zu unterstützen, sagte aber angriffslustig: „Wir werden selbst Gesetze einbringen, da kann Herr Ramelow gerne mit uns zusammenarbeiten.“
Wenn die FDP denn tatsächlich in den Landtag kommt: Am 7. November gibt der Landeswahlleiter das endgültige Wahlergebnis bekannt. 6 Stimmen weniger, falls nachgezählt wird – und die FDP ist doch nicht im Landtag vertreten.
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