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Kiel guckt auf seine Kunst

Grundlegende Erkundung der Kunstlandschaft: In zwei Ausstellungen widmen sich die Stadtgalerie und das Künstlermuseum Heikendorf Kieler Malern und Malerinnen in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus

Von Frank Keil

Geradeaus geht es. Schnurgeradeaus. Eine Straße durchschneidet die Landschaft, die auf diese Weise in den Hintergrund tritt: 1938 malte Ernst Vollbehr eine Reihe von Autobahnbildern, nachdem er zwei Jahre zuvor offizieller Maler der Olympischen Spiele im Deutschen Reich gewesen war. Er war da längst Mitglied der NSDAP, aufgenommen trotz Aufnahmestopp – Adolf Hitler persönlich hatte im Sommer 1933 dafür gesorgt, dass man bei Vollbehr eine Ausnahme macht. Vollbehr revanchierte sich, war beim Überfall auf Polen dabei, beim Einmarsch in Frankreich, beim Überfall auf die Sowjetunion – jeweils malend.

Geboren 1876 in Kiel, galt er als junger Maler dort als Talent: Bereits 1898 zeigte die Kieler Kunsthalle erste Studien und Skizzen. Er wurde Kolonialmaler, reiste nach Brasilien, nach Afrika, in die dortigen deutschen Kolonien. Meldete sich nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges sogleich als Kriegsmaler, fertigte Skizzen der Schlachtfelder bei Verdun vom Fesselballon aus, auf dass wuchtige Gemälde entstehen, in denen der Krieg als ästhetisiertes Faszinosum erscheint. Und so wundert es nicht, dass er mit den revolutionären Umbrüchen 1918 in seiner Heimatstadt, aber auch in München, wo er schließlich wohnt, nicht zurande kam und sie entschieden ablehnte.

Ganz anders als der Maler Friedrich Peter Drömmer, der traumatisiert aus dem Krieg zurückkehrte, der seine Erlebnisse in an die Apokalypse des Johannes erinnernde Bilder bahnte, der kurz am Bauhaus vorbeischaute und der sich der losen „Novembergruppe“ anschloss, die in Berlin ihr Zentrum, aber auch in Kiel einen Ableger hatte. Zu ihr gesellte sich auch Erich Ehmsen, der sich später für die KPD engagierte. Und der besonders mit seinen Antikriegs-Bildern sowohl Furore machte wie in der Marinestadt Kiel auf heftige Ablehnung stieß.

„Kieler Maler und Malerinnen von 1918 bis 1945“ lautet der erst mal sachliche, aber korrekte Titel einer zweiteiligen Ausstellung in Kiel. Dabei werden die Werke der Maler in den Räumen der Heinrich-Ehmsen-Stiftung ausgestellt, die sich wiederum in den Räumen der Kieler Stadtgalerie befinden. Ein weiter Bogen wird dabei geschlagen: von eben Ernst Vollbehr als einem führenden Vertreter der NS-Malerei über die Mitglieder der Kieler Novembergruppe bis zu einer speziellen Position wie der von Hans Ralfs.

Vollbehr revanchierte sich bei Hitler, war beim Überfall auf Polen dabei, beim Einmarsch in Frankreich, beim Überfall auf die Sowjetunion – jeweils malend

Einerseits lehnte Ralfs bürgerliche Konventionen strickt ab, andererseits ließ er kaum eine Gelegenheit aus, gegen den Expressionismus und die Idee der Abstraktion an sich zu opponieren. Man lernt den von Oskar Kokoschka geprägten Maler Friedrich Karl Gotsch kennen, der nach 1933 für viele Jahre kaum noch malte und trifft auf das Werk von Berthold Exner, das sich verschiedener Stilelemente bediente.

Ganz am Ende findet sich ein bemerkenswertes Porträt: ein Selbstbildnis als junge Dame mit Strohhut, eine eindringliche Arbeit von Elisabeth Jaspersen aus dem Jahr 1928. Es ist die Einladung sich unbedingt den zweiten Teil der Ausstellung im Künstlermuseum Heikendorf anzuschauen, der sich den Kieler Malerinnen jener Zeit widmet und auch über ihre Karrieren berichtet.

Thematisch wird hier ein weiteres Feld betreten: das der schwierigen Lage malender Frauen in jenen Jahrzehnten. Gerade erst formal zum Studium an Kunstakademien und Hochschulen zugelassen, konnten die wenigsten, die diese Hürde genommen hatten, danach auch ihr Leben als Künstlerin bestreiten und führen: Das Umfeld, oft aber auch die eigene Familie setzte die jungen Künstlerinnen unter Druck, auf eine Berufstätigkeit, gar eine künstlerische besser zu verzichten.

Almuth Schwarz etwa, von der Porträts und Stillleben zu betrachten sind, die bisher kaum ausgestellt wurden, gab nach der Geburt ihres ersten Kindes das Malen auf. Die schon erwähnte Elisabeth Jaspersen, von der fast idealtypische und überzeugende Arbeiten im Gusto der Neuen Sachlichkeit zu sehen sind, folgte 1929 ihrem Mann, der als Psychiater und Arzt eine leitende Stelle nahe Bielefeld annahm. Erst 25 Jahre später sollte sie ihre künstlerischen Tätigkeiten wieder aufnehmen. Andere wechselten als Zeichenlehrerinnen in den Schuldienst und die Arbeit an ihrem eigenen Werk versiegte oftmals.

Schnell wird deutlich, dass in Heikendorf die meisten Vertreterinnen und Vertreter der damaligen Künstlerkolonie einem sachten Impressionismus verpflichtet blieben und diese mehr als skeptisch auf das Energie- und Ausdruckspotenzial des Expressionismus schauten, der in Kiel zahlreiche Anhänger fand.

Das Künstlermuseum zögert denn auch nicht, die ausgestellten Positionen als „konservativ“ zu bezeichnen. Dennoch findet sich in den ausgestellten Werken Potenzial, auch wenn die Motivwahl recht eng bleibt: verschneite Winterlandschaften, menschenleere Stadtansichten, naturalistisch grundierte Porträts. In diesem Sinne schwebt mehr als ein Hauch Melancholie über den Bildern, von denen viele noch nie eine Begegnung mit einer größeren Öffentlichkeit erfahren haben. Und die zunächst rein spekulative Frage stellt sich dennoch: Was hätte aus Almuth Schwarz oder aus Elisabeth Jaspersen alles werden können?

Beide Ausstellungsteile wurden kuratiert vom langjährigen Direktor des Flensburger Museumsbergs Ulrich Schulte-Wülwer, dessen Forschungen mit einem Band über die Kieler Kunstlandschaft von 1770 bis 1870 begannen, dem ein Band über den Zeitraum von 1870 bis 1918 folgte, dem sich nun ein dritter Band eben über den Zeitraum von 1918 bis 1945 anschließt. Ob die Reihe fortgesetzt werden wird, ob es eines Tages in die 1950er- und -60er-Jahre und weiter gehen wird, ist allerdings fraglich: Es fehlt der Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte, die das Projekt bisher gefördert hat, schlicht an weiterem Geld.

Was doppelt schade ist, nicht nur weil damit das Unternehmen die Kieler Kunstlandschaft einmal grundlegend zu erkunden und vorzustellen, auf halber Strecke ausgebremst wird. Sondern auch, weil man gern wissen würde, wie es mit den Werken und den Lebensläufen der hier Vorgestellten weitergegangen ist; auch ob die eingenommenen Positionen einer eher vorsichtigen Beschäftigung mit den künstlerischen Strömungen der Moderne von den nächstfolgenden Generationen aufgegriffen wurden, wie sie zum Widerspruch reizten und wie sich möglicherweise so ein Faden zu den später auftauchenden Kieler Realisten spinnt.

Einige biografisch-künstlerische Spuren wenigstens werden schon mal gelegt: Karl Peter Röhl, dessen geometrisch-grafische Arbeiten aus den 1920er-Jahren einem dank ihrer Frische auch heute recht gut gefallen können, konnte nach Krieg, Befreiung und langsamem Wiederaufbau mit dieser Art ungegenständlicher Malerei beim Kieler Publikum nur begrenzt punkten.

Regelrecht bedrückend ist in diesem Zusammenhang die Erfahrungen, die Richard Grune machen musste: Als der Maler, der wegen seiner Homosexualität ab 1934 verfolgt wurde und der am Ende den Todesmarsch aus dem KZ Flossenbürg überlebte, im April 1946 seinen Lithografien-Zyklus „Die Ausgestoßenen“ in Räumen nahe des Kieler Hauptbahnhofes ausstellte, wurden diese Arbeiten eines Nachts zerstört. Ermittelt wurden die Täter nie.

„Kieler Künstlerinnen und Künstler zwischen 1918 und 1945“: Ausstellungen bis 24. 11., Kieler Stadtgalerie und Künstler­museum Heikendorf

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