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Von Ost nach Ost

Die taz widmet sich am 2. November in einer Sonderausgabe dem 30-jährigen Jubiläum der friedlichen Revolution – ausschließlich aus Ostperspektive. Warum?

Von Katrin Gottschalk

Was gibt es zu Ostdeutschland noch zu sagen? Ist überhaupt alles sagbar? Und wer redet? 30 Jahre nach der friedlichen Revolution widmen wir uns in der taz am Wochenende vom 2. November dem Reden und Schweigen – nicht philosophisch, sondern praktisch. Wir stellen uns auf 15 Seiten die Frage, ob es eine ostdeutsche Identität gibt und, wenn ja, wie sie aussieht. Warum sollten Kinder mehr mit ihren Eltern über das Leben zu DDR-Zeiten reden? Welche Erfahrungen mit Rassismus haben ­People of Color in der DDR gesammelt – und sammeln sie bis heute in Ostdeutschland? Warum sind viele Bür­ger­recht­ler*innen von damals heute nicht sichtbar? Wir schrei­ben über die Frauenbewegung in der DDR, befassen uns mit dem ostdeutschen Mann und fahren einen Überraschungsgast mit Glamour­effekt auf.

Wir, das sind Julia Boek, Daniel Schulz, Paul Wrusch und ich. Alles Ossis, sagen wir es doch ganz direkt. Wir repräsentieren ein kleines Spektrum: Wir sind zwischen 1979 und 1985 geboren. Immerhin auf einer Nord-Süd-Achse: in Bergen auf Rügen, in Potsdam, Halle (Saale) und Dresden. Im Dorf und in der Großstadt. Wir sind weggegangen. Einer, weil die Eltern nach der Wende „rübergemacht“ haben. Eine zum Studium. Eine nach Schweden. Einer zum Zivildienst – auch deshalb, weil zwar nicht alle Nazis waren, aber er den Eindruck hatte, dass die Mehrheit die Nazis gar nicht so schlimm fand. Wir sind die, die von der DDR selbst nicht mehr so viel mitbekommen haben. Dafür von den Neunzigern. Vom Verschwinden der Trabis, den Hoffnungen und der Orientierungslosigkeit der Eltern, dem Rechtsradikalismus. Wir sind alle nicht mehr an den Orten unserer Geburt, aber die Orte sind immer noch bei uns. Die Kultur, der Dialekt, wenn wir wollen, bestimmte Reaktionen, Reflexe. Unsere Herkunft spielt auch 30 Jahre nach dem Fall der Mauer noch eine Rolle. Weil da etwas ist, was uns verbindet.

Wir sind genervt, wenn alle den Rechtsradikalismus nur im Osten sehen. Wir sind genervt, wenn andere Rechtsradikalismus im Osten verharmlosen. Wir sind genervt, wenn jemand „In der DDR war nicht alles schlecht“ sagt. Und wir sind genervt, wenn die DDR nur als Unrechtsstaat gesehen wird. Man kann es uns nicht recht machen. Aber wir wollen reden. Ohne den Blick von außen. Ohne die Wehmut der westdeutschen Linken, die die Relevanz des Herbsts 1989 nicht verstanden haben. Ohne die Historiker, die erklären, dass die Hunderttausende auf den Straßen gar nicht der Grund für den Zusammenbruch der DDR waren. Wir sind nicht geschichtsvergessen, aber wir und die anderen taz-Auto­r*in­nen der Ausgabe wollen einmal nur auf dieses kleine Land und seine Nachwehen schauen.

Es gibt vieles, worüber in Ostdeutschland heute wie damals zu wenig gesprochen wird. Wir glauben, dass manche Themen Ruhe brauchen, ein vertrautes, unaufgeregtes Miteinander. Und es braucht die Offenheit vieler Westdeutscher, zuzuhören. Noch einmal zuzuhören. Vielleicht sind die Themen der Ausgabe nicht neu, aber die Perspektiven, aus denen sie erzählt werden. Online sind die Texte ab dem 2. November bis zum eigentlichen Jubiläum am 9. November und darüber hinaus zu lesen. Zu hören gibt es alles rund um das Thema auch in den Podcasts „Lokalrunde“, „Weiß­abgleich“ und „Specht hat Recht“.

Der Osten hat Hochkonjunktur. Erst kürzlich wählten Brandenburg und Sachsen einen neuen Landtag, am Sonntag folgt Thüringen. In allen drei Bundesländern ist die AfD eine starke Kraft, die Bilder vom „braunen Osten“ sind schnell zur Hand. Derweil versuchen Ostdeutsche, zu zeigen, wie freundlich und weltoffen der Osten eigentlich sei. Beide Bilder sind richtig und falsch. Wir wollen ohne sie auskommen.

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