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Im Schnitt zwei Meldungen pro Tag

Die Zahl der antisemitischen Vorfälle steigt seit Jahren, zeigt die Statistik der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin. Die Daten des Landeskriminalamtes fallen niedriger aus

Die Rias hat einen all umfassenderen Begriff von Antisemitismus als das LKA

Von Anina Ritscher

Ein Mann mit Kippa wird auf offener Straße angegriffen, jemand klettert über den Zaun einer Synagoge und zückt ein Messer, ein Stolperstein wird beschädigt – das alles geschah in Berlin in den Monaten September und Oktober. Antisemitische Vorfälle sind alltäglich. Im Schnitt erfährt die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (kurz: Rias) von über zwei Vorfällen pro Tag.

Für das Jahr 2018 zählte Rias insgesamt 1.083 Vorfälle – das sind 14 Prozent mehr als im Vorjahr. Darunter finden sich gewalttätige Angriffe, Bedrohungen, verletzendes Verhalten, Sachbeschädigungen sowie massenhaftes Zusenden von E-Mails und Post. Von Januar bis Juni 2019 wurden in Berlin 404 antisemitische Vorfälle gemeldet, wie der neuste Halbjahresbericht zeigt. Die Zahlen setzen sich zusammen aus direkten Meldungen an die Rias, aus Vorfällen, die die Polizei meldet und aus solchen, über die in den Medien berichtet wird.

Laut Rias stieg 2018, im Vergleich zum Vorjahr, besonders die Anzahl körperlicher Angriffe: Waren es 2017 noch 18 solcher Angriffe, wurden im Folgejahr schon 46 Menschen gewalttätig angegriffen. Darunter etwa eine Gruppe von Menschen, von denen einige Kippot trugen, die bespuckt und mit „Verpisst euch, ihr Juden“ beschimpft wurden. Sprecher Alexander Rasumny sagte der taz: „Es gab 2018 eine größere Bereitschaft für Gewalt.“

Nach dem ersten Halbjahr 2019 ist die Anzahl von Angriffen bei 13 wieder etwas tiefer als im selben Zeitraum im Vorjahr.

Die hohen Zahlen im Jahr 2018 haben laut Rasumny auch damit zu tun, dass sowohl 70 Jahre Israel gefeiert wurden, als auch die Novemberpogrome von 1938 sich zum 80. Mal jährten. Beides wurde zum Anlass für antisemitische Mobilisierungen genommen. Die Dunkelziffer schätzt die Rias indes viel höher ein: „Befragungen zufolge werden lediglich 20 bis 24 Prozent aller Vorfälle gemeldet“, sagt Rasumny.

Am Häufigsten sind Vorfälle die im Bericht in die Kategorie „Verletzendes Verhalten“ fallen. Dazu zählen etwa Hasspostings im Internet, antisemitische Aufkleber oder Demo-Transparente; etwa ein Plakat, das eine Parallele zwischen Nationalsozialismus und Zionismus zieht.

Die Zahlen des Landeskriminalamtes (LKA) sind niedriger: Für 2018 verzeichnet die Kriminalstatistik für politisch motivierte Gewalt 324 Fälle mit antisemitischer Motivation. Auch dieser Bericht zeigt einen Anstieg: 6 Prozent mehr verglichen mit dem Vorjahr. Die Differenz zwischen LKA-Zahlen und Rias-Zahlen kommt einerseits zustande, weil nicht alle der Rias gemeldeten Vorfälle auch bei der Polizei angezeigt werden. Und andererseits, weil die Rias einen allumfassenderen Begriff von Antisemitismus hat, und auch Vorfälle zählt, die nicht strafrechtlich relevant sind. Zudem berücksichtigt die Rias bei Anfeindungen im Internet und per Telefon den Standort der Betroffenen, das LKA aber den Standort der Täter*innen.

Die Rias unterscheidet fünf verschiedene Formen des Antisemitismus: Antijudaismus, dazu zählt zum Beispiel der Vorwurf, Juden und Jüdinnen hätten Jesus ermordet. Moderner Antisemitismus, das sind meist verschwörungstheoretische Aussagen. Othering, also das Markieren von Juden und Jüdinnen als nicht zugehörig. Post-Shoah-Antisemitismus, der sich auf die NS-Zeit bezieht. Und Israel-bezogener Antisemitismus, der sich gegen den Staat Israel richtet.

Letzterer machte 50 Prozent aller dokumentierten Vorfälle aus. Und ist besonders umstritten: Auch innerhalb der Linken sorgt die Unterscheidung zwischen Israel-bezogenem Antisemitismus und Kritik an der Politik der israelischen Regierung oft für angespannte Debatten. „Wir machen transparent, wie und nach welchen Kriterien wir arbeiten“, sagte Rasumny.

Der Bericht stützt sich bei der Erhebung auf die sogenannten „3 Ds“ des Israel-bezogenen Antisemitismus: Dämonisierung, Delegitimierung und Doppelstandards. Letzteres bezieht sich auf selektive Kritik an Israel, die es gegen andere Länder nicht gibt.

Noch mehr Vorfälle als in den Israel-bezogenem Antisemitismus fallen in die Kategorie des „Post-Shoah“-Antisemitismus. Das bezeichnet etwa die Leugnung oder Verharmlosung des Holocaust. Dazu zählen etwa Kundgebungen im Rahmen der bundesweiten Solidaritätswoche für die inhaftierte Schoa-Leugnerin und Nationalsozialistin Ursula Haverbeck.

In fast der Hälfte aller antisemitischen Vorfälle ist der Rias kein politischer Hintergrund bekannt. 2 Prozent aller Fälle ordnet sie einer islamistischen Motivation zu, 9 Prozent dem Israel-feindlichen Aktivismus und 4 Prozent einem links-antiimperialistischen Hintergrund. Ein Teil fällt unter „verschwörungsideologisch“, einer unter „politische Mitte“. Die Mehrheit, nämlich 18 Prozent, ist dem rechtsextremen Antisemitismus zuzuordnen. Das spiegelt sich auch in den Zahlen des LKA wieder: Von den 324 antisemitischen Fällen, die dort gezählt wurden, hat das LKA 253 Fälle einer politisch rechten Motivation zugeordnet.

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