Nach Sozialprotesten: Regierung im Libanon dankt ab

Fast zwei Wochen lang demonstrierten Hunderttausende gegen Korruption. Jetzt kündigt Ministerpräsident Hariri seinen Rücktritt an.

Ein Mann in Anzug steht vor Mikrophonen und hinter der libanesischen Flagge.

(Noch-)Ministerpräsident Hariri letzte Woche im Fernsehen: Jetzt verkündet er dort seinen Rücktritt Foto: dpa

BEIRUT taz | Über ein Handy streamt eine Frau die Übertragung der Rede des Ministerpräsidenten Saad Hariri, ein junger Mann hält ein weiß-gelbes Megafon ans Handy, gespannt drängt sich eine Traube Protestierender um ihn herum. Kurz ist alles an der Brücke in der Innenstadt Beiruts ganz ruhig, dann bricht Jubel aus: Hariri kündigt seinem Rücktritt an und mit ihm der gesamten Regierung. „Niemand ist größer als sein Land“, sagte Hariri.

Seit 13 Tagen protestieren Hunderttausende Menschen im ganzen Land gegen korrupte Politiker, die das Land kurz vor einen Staatsbankrott getrieben haben. Nach einem spontanen Protest, dem sich Tausende in Beirut anschlossen, waren im ganzen Land Menschen auf den Straßen. Hariri hatte vergangene Woche zunächst Reformen angekündigt, darunter die Kürzung der Gehälter der Beamten um 50 Prozent, keine neuen Schulden im Haushalt für 2020 und die Privatisierung des Kommunikationsnetzes.

Das war den Protestierenden nicht genug. Sie blockierten die Straßen mit Sitzblockaden oder Mülltonnen. Auf der einzigen Autobahn des Landes, die sich an der Mittelmeerküste von Nord nach Süd zieht, bildeten Tausende Menschen eine Kette, um Einheit zu demonstrieren. Banken und Schulen sind seit Tagen geschlossen, auch der Kultursektor stellte den Betrieb ein. In der Innenstadt Beiruts kampierten Menschen mit Zelten, sie blockierten die Auffahrt einer Brücke mit Sofas – die Straße wurde zu ihrem Wohnzimmer.

Saad Hariri, Ministerpräsident

Niemand ist größer als sein Land

„Das ist definitiv ein Gewinn. Wir haben erreicht, was wir wollten, aber das ist erst der Anfang des Kampfes, da wird noch viel kommen“, sagte die 21-jährige Lama Chmayaa, die seit dem Morgen auf der Straße in der Innenstadt protestiert hat. „Wir feiern und freuen uns, aber unser Gewinn ist der Verlust der Parteien, gegen die wir protestieren. Die Hisbollah-Anhänger werden jetzt noch mehr gegen die Proteste sein.“

Attackiert von Männern auf Motorrädern

Einige der Protestierenden glauben, dass die schiitische Hisbollah und ihr Pendant die Amal Partei junge Männer bezahlen, um die Protestierenden zu vertreiben. Die Parteien sind selbst in der Regierung vertreten und möchten diesen Einfluss nicht aufgeben.

Vor der angekündigten Rede Hariris hatten Männer auf Motorrädern die Protestierenden auf der Brücke mit Steinen und Flaschen beworfen, daraufhin drängte die Polizei die Gewalttätigen mit Tränengas, Schlagstöcken und Schüssen zurück. Der schiitische Imam des Viertels verurteilte die Gewalt des Militärs, nicht aber die Gewalt der jungen Männer. Ein junger schiitischer Amal-Anhänger sagte der taz, gefragt nach seiner Motivation, die Menschen zu vertreiben: „Die schließen die Straßen für alle, wir müssen durch und zur Arbeit. Ich bin für die Regierung.“

Kurze Zeit nach der Rücktrittsrede brach ein Streit bei den Feiernden aus. Ein Mann sagte, die Partei der libanesischen Kräfte sei auf der Seite der Protestierenden. Deren vier Minister waren vergangene Woche zurückgetreten. Ein anderer Mann erwiderte den Slogan der Bewegung: „Alle heißt alle!“

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