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Ein queerer Formwandler ist auch dabei

In dem Roman „Schwarzer Leopard, roter Wolf“ des jamaikanischen Autors Marlon James existiert Afrika nur als dichte Beschreibung sich überlagernder Geschichten und wird nicht zu einer fixierbaren Einheit. Dass auch die Figuren sich ändern, macht die Lektüre nicht einfach

Marlon James: „Schwarzer Leopard, roter Wolf“, übersetzt von Stephan Kleiner, Heyne Hardcore, München 2019, 832 Seiten, 28 Euro

Von Christian Werthschulte

Über die Nützlichkeit von Literaturpreisen lässt sich streiten. Ein großer Vorteil ist, dass sie ihren Gewinnern eine gewisse Narrenfreiheit verschaffen können. Das hat zumindest Marlon James für sich genutzt. 2015 gewann er als erster jamaikanischer Autor überraschend den Man Booker Prize für seinen Roman „Eine kleine Geschichte von sieben Morden“, der ein missglücktes Attentat auf Bob Marley im Jahr 1976 als Ausgangspunkt für die Geschichte von dessen Auftragsmörder nahm. Danach konnte der 1970 geborene Autor und Dozent mit dem nächsten Buch einer seiner Leidenschaften frönen: dem Fantasyroman.

James neuer Roman, „Schwarzer Leo­pard, roter Wolf“, ist im präkolo­nia­len Afrika zur Zeit des christlichen Mittelalters angesiedelt, einer Zeit, in der wohlhabende Königreiche den Kontinent beherrschten. Im Mittelpunkt seiner Geschichte steht „der Sucher“, dessen Suche nach einem Kind – das erfahren wir gleich im ersten Satz – nicht glücklich endet: „Das Kind ist tot. Weiter gibt es nichts zu wissen.“

Der Weg ist also das Ziel, und in „Schwarzer Leopard, roter Wolf“ ist er gespickt mit Hexenjägern, Riesen, die so groß wie Bäume sind, und einem kleinen Mädchen aus blauem Rauch. Suchers Gefährte ist dabei ein Leopard, ein Formwandler, der zugleich zu seinem Geliebten wird.

„Schwarzer Leopard, roter Wolf“ bedient sich eines erzähltechnischen Kniffs. Der Sucher erzählt seine Geschichte einem Dritten, dem Inquisitor, dessen Wissensstand wiederum mit unserem identisch ist. „Sag mir, wie ich meine Geschichte erzählen soll“, sagt der Sucher zu ihm. „Von ihrer Abenddämmerung bis zu ihrem Morgengrauen? Oder soll sich meine Geschichte wie eine Krabbe von einer Seite zur anderen bewegen?“ James entschiedet sich für beides und erzählt die Reise seiner Hauptfigur voller Irrwege, Sackgassen und falsch gelegten Fährten.

Orientierung schwierig

Vielleicht ist dies eine antikolonialistische Geste. Weil sein Afrika nur als dichte Beschreibung sich überlagernder Geschichten existiert, verhindert James, dass es jemals als eine fixierte Einheit, als Essenz, wahrgenommen werden könnte. Schon das Vorgängerbuch „Eine kurze Geschichte von sieben Morden“ bediente sich dieser Technik, mit der ein historisches Ereignis durch die Vielstimmigkeit seiner Zeugen veruneindeutigt wird.

Beim Lesen von „Schwarzer Leopard, roter Wolf“ führt James’Erzählweise jedoch regelmäßig zu Frustrationserlebnissen: Immer wenn man meint, eine Figur oder eine Charakterkonstellation erfasst zu haben, verschiebt die nächste Geschichte die eigene Perspektive wieder. Das gilt nicht zuletzt für die Hauptfigur selbst. Sucher wird von seinen Eltern wegen seiner Sexualität aus dem Haus geworfen. Im Laufe der Geschichte stellt er sich schließlich als ein omnisexuelles Wesen heraus, der sich von einem pragmatischen Söldner zu einer von Eifersucht und Blutrünstigkeit getriebenen Figur wandelt. Auch der Leopard, sein Gefährte, bleibt kaum zu fassen. Mal erscheint er als blutgieriges Raubtier, mal als sorgendes Oberhaupt einer Pflegefamilie aus verstoßenen Kindern und mal als zärtlicher Partner. Es ist beeindruckend, wie selbstverständlich James von der Queerness seiner Figuren erzählt, ohne dabei allegorisch zu werden.

Aber leider fällt „Schwarzer Leo­pard, roter Wolf“ auch genau das schwer, was zum Handwerkszeug eines Fantasyromans gehört: das Erschaffen einer Welt. Sie muss nicht plausibel sein, aber für sich einnehmen können.

James hat seiner Welt zwar ein paar handgemalte Karten geschenkt, ihre Geografie, ihre Mythen und ihre Historie muss man sich jedoch aus den Dialogen der Figuren zusammenpuzzeln. Das führt dazu, dass einen weniger das Erkunden einer detailreich beschriebenen Welt durch die Seiten von „Schwarzer Leo­pard, roter Wolf“ gleiten lässt, sondern James’ prägnante Prosa, mit der er seinen nuancierten Hauptfiguren Wortwitz, Aufschneidertum und Sarkasmus andichtet.

Mit ihnen gibt es hoffentlich bald ein Wiedersehen. „Schwarzer Leopard, roter Wolf“ ist der Anfang einer Trilogie. Eine Verfilmung ist in Planung: Michael B. Jordan, Hauptdarsteller aus dem Marvel-Film „Black Panther“, hat sich die Filmrechte gesichert. Dabei wäre ein anderes Medium naheliegender: „Schwarzer Leopard, roter Wolf“ ist ein Roman wie ein Open-World-Videospiel, in dem sich die Geschichte mit jedem Schritt der Hauptfigur ändert. Man muss nur reichlich Neugier mitbringen, um ihn zu erforschen.

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