Wahlkampfthema Kohleausstieg in Polen: Der Smog ist zurück

Kurz vor der Wahl macht die starke Luftverschmutzung Polen wieder zu schaffen. Nun schauen alle auf die Kohleregion Oberschlesien.

Rauch steigt aus Schloten über Wohnhäusern auf

Europas größtes Kohlekraftwerk bei Belchatow verunreinigt die Luft Foto: reuters

WARSCHAU taz | In Polen hat die Heizperiode begonnen. Dicker gelblichgrauer Rauch quillt aus Schloten und Schornsteinen. Kurz vor den Parlamentswahlen am 13. Oktober ist der stinkende Smog zurück. Im Radio kommen täglich Warnungen, viele Polen ziehen sich auf der Straße Atemmasken vors Gesicht, Kinder mit Asthma dürfen das Haus erst gar nicht verlassen.

In Polen liegen 33 der 50 dreckigsten Städte Europas, stellte schon vor zwei Jahren die Weltgesundheitsorganisation fest. Geändert hat sich daran nichts. Das liegt am bisherigen Scheitern des 25-Milliarden-Euro-Programms „Saubere Luft“, aber auch am Festhalten der Kohleförderung durch die nationalpopulistische Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS).

Fast alle Parteien Polens versuchen das heikle Thema „Klimakatastrophe und Kohleausstieg“ im Wahlkampf zu umgehen. Zu viele Arbeitsplätze hängen daran, insbesondere im für die Wahl entscheidenden Oberschlesien. Zudem verdienen die Bergleute mit rund 2.000 Euro im Monat immer noch sehr gut, arbeiten im Schnitt nur sechs Stunden pro Schicht und können bereits mit 50 Jahren in Rente gehen.

Einen Streik der Bergleute, womöglich mitten im Wahlkampf, will keine Partei riskieren. Doch die Bergwerke werfen kaum noch Gewinn ab. So kostet die Förderung polnischer Steinkohle aus 800 bis 1.000 Meter Tiefe inzwischen doppelt so viel wie in Russland, Australien oder Indonesien.

Kohleland und Groß-Kohleimporteur

Die prekäre Lage des polnischen Bergbaus wurde vielen Polen erst bewusst, als vor zwei Wochen das Greenpeace-Schiff „Rainbow Warrior“ im Hafen von Gdansk/Danzig das Löschen einer Kohleladung aus Mosambik blockierte. Als dann die Medien berichteten, dass der Kohlefrachter aus Afrika kein Einzelfall war, war die Überraschung groß.

Allein 2018 importierte das Kohleland Polen knapp 20 Millionen Tonnen Steinkohle für umgerechnet 1,7 Milliarden Euro. Hauptlieferant ist Russland. Zugleich produzieren die heimischen Bergwerke auf Halde: bis Juni 2019 sammelten sich fünf Millionen Tonnen unverkäuflicher Steinkohle aus Polen an. Der Steinkohle-Verbrauch Polens liegt bei jährlich rund 70 bis 75 Millionen Tonnen.

Dabei ist längst allen Politikern klar, dass ein Ausstieg aus der Kohle unumgänglich ist. Die Frage ist nur, in welchem Zeitraum das geschehen soll und welche anderen Energien an die Stelle der Kohle treten sollen.

Kohleausstieg mit großer Hintertür

Doch als die größte Oppositionspartei Polens, die liberalkonservative Bürgerplattform (PO), den vollständigen Kohle-Ausstieg bis 2040 verkündete, gab es keinen großen Knall, keine Sensation und keine Debatte. Denn im letzten Moment verließ den Parteivorsitzenden Grzegorz Schetyna der Mut. Und so landete das Thema „Kohleausstieg“ auf dem letzten Platz seiner wortreichen Parteiprogramm-Rede.

Da interessierte sich dann niemand mehr für den stufenweisen Kohleausstieg – bis 2030 keine Kohleöfen mehr in Wohnungen und Häusern, bis 2035 keine Kohleverfeuerung mehr in städtischen Fernwärme-Systemen, bis 2040 auch keine Kohleverstromung mehr in den großen Kraftwerken.

So verpuffte die Ankündigung des geplanten Kohleausstiegs sang- und klanglos. Eine Debatte kam nicht in Gang. Das liegt auch daran, dass sich die PO ein Hintertürchen für die Nichterfüllung des Wahlversprechens offenhält: „Wir werden keine Bergwerke schließen, solange sich dort Kohle befindet, deren Förderung ein würdiges Leben der Bergleute und ihrer Familien erlaubt“, heißt es im Programm. Und „Wir werden keine Kohlekraftwerke schließen, solange diese arbeiten können.“ Wochen später konnte sich dann der PO-Chef Schetyna nur noch mit Mühe an das „Sechserpack“-Wahlprogramm der eigenen Partei erinnern. In einem Interview sagte er „Da war noch was mit Smog.“

Trotzdem ist das Thema im Wahlkampf präsent. Auch die Demokratische Linksallianz (SLD) fordert einen „weitgehenden Kohleausstieg bis 2035“. Unter ihrem Schirm starten auch die erst vor zwei Jahren gegründete Partei „Frühling“ (Wiosna) von Robert Biedron, dem ersten sich als schwul bekennenden Politiker Polens, sowie die linksalternative Partei „Gemeinsam“ (Razem), die vor vier Jahren noch an der 5-Prozent-Hürde scheiterte.

Für die SLD steht der künftige Energiemix sogar an erster Stelle des Programms. Bis 2035 sollen erneuerbare Energien die Hauptenergiequelle Polens stellen. Allerdings gibt es unter den drei Parteien keinen Konsens über den möglichen Einstieg in die Atomenergie.

Für einen stufenweisen Kohleausstieg bis 2050 tritt auch die liberale Bauernpartei PSL ein, die sich allerdings unlängst mit der rechtsanarchistischen Partei Kukiz'15 zusammengeschlossen hat. Deren Chef, der ehemalige Rocksänger Pawel Kukiz, ist ein erbitterter Gegner des Kohleausstiegs. Es gehe nicht nur darum, die Tradition und Identität der Bergleute in Oberschlesien zu pflegen, vielmehr müsse man auch immer wieder darauf verweisen, dass die Deutschen das Klima weit stärker schädigten als die Polen.

Der PIS reicht auch ein bisschen

Zwar geht auch Polens Regierungspartei PiS in ihrem groß angelegten und sehr detailliertem Projekt „Polens Energiepolitik bis 2040“ (PEP2040) von einer Reduzierung des Kohleanteils am Energiemix aus, nicht aber von einem vollständigen Kohleausstieg. In zehn Jahren soll Polens Energie nicht mehr zu gut 70 Prozent wie heute, sondern „nur“ noch zu 60 Prozent aus der Kohle kommen. Rund 20 Prozent soll auf erneuerbare Energiequellen entfallen. Einen großen und wachsenden Anteil am Energiemix sieht die PiS aber – anders als die meisten anderen Parteien – im Atomstrom. 2033 soll das erste Atomkraftwerk ans Netz gehen, alle zwei Jahre bis 2043 weitere fünf Atomblöcke. Noch gebe es zwar keine mittelfristige oder gar Endlagerstätte für den Atommüll, aber – so heißt es im PiS-Energie-Projekt – man sei auf der Suche nach einem geeigneten Standort.

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