: „Ich wünschte, ich wäre damals gestorben“
In einer ARD-Doku werfen zwei Ex-Läuferinnen dem Leichtathletikverband vor, ihnen ohne Aufklärung Operationen abverlangt zu haben – mit Folgen
Von Martin Krauss
Gerechter soll es zugehen, natürlicher, ehrlicher. Die Behauptungen, mit denen der Weltleichtathletikverband IAAF gegen viele Widerstände in diesem Jahr seine Hormonregel durchgedrückt hat, waren an Pathos kaum zu überbieten.
Es geht um hormonelle Eingriffe bei Frauen, und wie hoch der Preis ist, den die Sportlerinnen zahlen müssen, beleuchtet die ARD-Dokumentation „Kampf ums Geschlecht – Die verstoßenen Frauen des Sports“, die am gestrigen Freitagnachmittag lief, kurz vor der Eröffnung der Leichtathletik-WM in Doha.
In der Dokumentation von Olga Sviridenko, Edmund Willison und Hajo Seppelt erhebt die frühere ugandische Spitzenläuferin Annet Negesa schwere Vorwürfe gegen den leitenden Arzt der IAAF, Stéphane Bermon. Bei Negasa, die 2012 bei den Olympischen Spielen zum erweiterten Favoritenkreis zählte, wurden aus Sicht der IAAF zu hohe Testosteronwerte festgestellt. Nichts Unnatürliches, Negasas Werte waren halt so. Gleichwohl wurde sie gesperrt.
Damit sie wieder laufen durfte, wurden ihr, wie es die ARD zusammenfasst, „im Rahmen einer sogenannten Gonadektomie die innenliegenden Hoden entfernt“. Allerdings, so Negesa, wurde ihr das vorher nicht richtig mitgeteilt. „Sie haben mir gesagt, es sei eine Art Injektion, sie würden mein Testosteron herausziehen“, erklärt Negesa. „Aber das ist nicht das, was sie gemacht haben. Als ich am Morgen aufwachte, hatte ich Schnitte.“
Neben Negesa haben die ARD-Rechercheure noch eine zweite Profiläuferin gefunden, die allerdings anonym bleiben möchte. Ihr erging es ähnlich wie Negesa, auch sie musste sich der medizinisch nicht indizierten Operation unterziehen. „Ich hatte keine Wahl.“
Kritik an der Hormonregel der IAAF wird schon lange geäußert. Sogar der Menschenrechtsrat der Uno hat sich ablehnend geäußert, aber der Internationale Sportgerichtshof (CAS) und ein Schweizer Bundesgericht hatten die Leichtathletikfunktionäre in ihrem Tun bestätigt.
Bei Negesa und der zweiten Läuferin kommen nun noch weitere Kritikpunkte hinzu: Neben der Operation, die die eigentlich in der Regel vorgeschriebene Senkung des Testosteronspiegels durch ein hormonelles Verhütungsmittel ersetzt hatte, werfen die zwei Frauen der IAAF unzureichende medizinische Nachsorge vor, die zu körperlichen und seelischen Schäden geführt habe. Beide Frauen konnten nach den Eingriffen nie wieder Leistungssport treiben.
„Ich habe oft daran gedacht, mich umzubringen“, sagt die anonym bleibende Läuferin in der Doku. „Sie haben mein Leben gestohlen, meine Existenz. Einfach so haben sie meinen Traum weggenommen. Ich wünschte, dass ich damals in ihren Händen gestorben wäre, weil man sie dann zur Verantwortung gezogen und bestraft hätte.“ Nach ARD-Angaben leidet die Frau heute an Knochenschwund und unter Depressionen. Der kritisierte Arzt Bermon äußert sich gegenüber den Journalisten nicht. Bekannt ist aber, dass er Mitautor einer Studie ist, in der von vier Spitzensportlerinnen die Rede ist, denen „eine Gonadektomie vorgeschlagen“ wurde – jenes Verfahren, mit dem Negesa der innenliegende Hoden entfernt wurde.
Die britische Sportsoziologin Payoshni Mitra kritisiert in dem Film massiv den Weltverband: „Sie wurden behandelt wie Versuchskaninchen. Sie waren Teil eines Experiments.“
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