Gegen die Verleugnung

Kubas Staatsmedien zeichnen ein geschöntes Bild von der Realität. Und die unabhängigen Medien sind illegal

Aus Havanna Geisy Guia Delis

Im August 2017, als alle längst wussten, dass Miguel Díaz-Canel der nächste Präsident der Republik Kuba würde, tauchte auf YouTube ein Video auf, in dem er sich über die unabhängigen Medien in Kuba äußert: „Wir werden ihnen die Plattform schließen. Sollen sie doch einen Skandal daraus machen. Sollen sie doch behaupten, dass wir zensieren, das ist okay, alle Welt zensiert.“ Dieser lapidare Satz war wie ein Urteilsspruch, mit dem jede Möglichkeit des Dialogs oder des Respekts und der Anerkennung für die auf der Insel entstandenen digitalen Medien ausgeschlossen wurde.

Seien wir ehrlich: Kein Präsident mag Journalisten. Außer natürlich, wenn sie nichts hinterfragen, nichts recherchieren und als Propagandaapparate funktionieren, als Lautsprecher der Macht. Aber wenn Sie Präsident in einer Demokratie sind und vorhaben, alle Medien zu schließen, die nicht mit Ihnen sympathisieren, dann wird aller Wahrscheinlichkeit nach die Verfassung Ihrer Nation das verhindern. Aber Kuba ist ein Land der Ausnahmen – um nicht zu sagen, dass es in Kuba keine Demokratie gibt. Bislang sind im Jahr 2019 in Kuba mindestens sechs von der Regierung unab­hängige Medien zensiert oder blockiert worden. Rund zehn Journalisten wurden festgenommen, bedroht oder an der Ausreise gehindert.

In Artikel 55 der dieses Jahr verabschiedeten Verfassung heißt es: „Die Freiheit der Presse wird anerkannt. Dieses Recht wird im Einklang mit den Gesetzen und Zielen der Gesellschaft ausgeübt. Die wesentlichen Kommunikationsmedien [eine sehr vage Formulierung; es ist zu befürchten, dass sie so gehalten ist, um auch gegen Internetmedien vorgehen zu ­können] in all ihren Erscheinungsformen sind sozialistisches Eigentum des ganzen Volkes oder der politischen, sozia­len und Massenorganisationen [soll heißen: Kommunistische Partei Kubas, Vereinigung der Jungen Kommunisten, Revolutionäre Streitkräfte]; sie dürfen keine anderen Eigentumsverhältnisse haben [das schließt privat oder genossenschaftlich organisierte Medien aus].

Die neuen Medien sind wie ein zähes Stück Fleisch, an dem die Regierung ganz schön zu kauen hat und das sie weder herunterschluckt noch auszuspucken wagt, aus Angst, sich selbst zu bekleckern.

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Geisy Guia Delis, 28, ist Reporterin des unabhängigen Portals „Periodismo de Barrio“ in Kuba. Das 2015 gegründete Medium befasst sich vor allem mit Umwelt­themen.

www.periodismodebarrio.org

Weil die Nationalversammlung, die nur zweimal im Jahr regelmäßig und nur ganz selten außerordentlich tagt, um Gesetze zu verabschieden, wird in Kuba mittels Dekreten regiert. Eines der jüngsten, das Dekret Nummer 370 „Über die Informatisierung der Gesellschaft in Kuba“, zielt darauf ab, die Rechte der Kubaner im Internet zu beschränken, und ist eine direkte Bedrohung der unabhängigen Medien, die ausschließlich als digitale Plattformen existieren können. Darin wird es als Gesetzesverstoß bezeichnet, „eine Website auf einem Server im Ausland zu betreiben, die nicht ausschließlich ein Spiegel oder eine Kopie einer auf Servern auf nationalem Territorium gehosteten Seite ist“. Genauso ist es verboten, „über die öffentlichen Datennetze Daten oder Informationen zu verbreiten, die dem sozialen Interesse, der Moral, den guten Sitten und der persönlichen Integrität zuwiderlaufen“ (Artikel 68).

Ich denke, es liegt in einer Grauzone, zu definieren, was Moral ist oder welche Informationen dem sozialen Interesse zuwiderlaufen. Aber ich wage zu behaupten, dass sich die Öffentlichkeit in Kuba für Themen der Umwelt und der Lokalentwicklung interessiert. Genau das sind die Themen des Mediums, für das ich schreibe. Periodismo de Barrio, 2015 von jungen Absolventen der Universität von Havanna gegründet, drückt in seiner Grundsatzerklärung seine Loyalität zum Sozialismus als emanzipatorischem Projekt aus und betont gleichzeitig, dass Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit essenziell für eine bewusste Bürgerbeteiligung sind.

Wir wollen investigativen Journalismus machen, in dessen Mittelpunkt die Gemeinden stehen, die von der Klimakrise am stärksten bedroht sind. Aber in Kuba ist alles politisch. Allein weil es uns gibt, wurden wir von der Staatssicherheit festgenommen, wurden uns unsere Kameras und Telefone abgenommen. Wir wurden aus verschiedenen Provinzen ausgewiesen, und wir wurden aufgefordert, über diese Übergriffe zu schweigen. Das alles war sowohl bevor als auch nachdem wir über die schlimmen Zustände berichtet hatten: über die Müllkippen unter freiem Himmel in Havanna oder über den Tod der Biodiversität in der Bucht von Chipriona infolge der Abwässer und Einschlämmungen durch die Rumfabrik Havanna Club oder über das staatliche Wegsehen in einer Gemeinde, die sehr starker Vergiftung durch Blei ausgesetzt ist.

„Sollen sie doch behaupten, dass wir zensieren, das ist okay, alle Welt zensiert“

Miguel Díaz-Canel Präsident Kubas

Unter diesen Bedingungen üben heute viele Journalisten in Kuba ihren Beruf aus. In diesem ganzen Geflecht von Dekreten und Verfassungsartikeln bleibt uns das Etikett „illegal“. Wir haben nie um Erlaubnis gebeten, Journalismus zu machen, noch werden wir das tun, und das wiederum bedeutet, dass wir nicht nur unsere Meinungs- oder Reisefreiheit riskieren – jeder von uns kann auch jederzeit ins Gefängnis gesteckt werden.

Noch immer gibt es jene, die die Namen, Gesichter, Schmerzen und Träume jener, die in unseren Reportagen auftauchen, verschweigen wollen, als ob sich die Wirklichkeit durch Negation verändern ließe oder diese Menschen und ihre Probleme dann einfach verschwinden würden.

Kürzlich feierte mein Vater seinen 58. Geburtstag, und er witzelte einen ganzen Monat lang herum, was er gern als Geschenk hätte: einen Tausch seines Hauses gegen eines von denen, die jeden Abend um Punkt acht Uhr in den Hauptnachrichten zu sehen sind. In der Sendung gibt es reichlich Fleisch und Obst, die Menschen sind glücklicher und produktiver, die Omnibusse sind nicht voll, es gibt keine politischen Widersprüche, alle sind sich einig, und es gibt keine größere Kraft als die Revolution. Mein Vater macht über all das Witze, weil es ihm Spaß macht, dabei zuzuschauen, wie Abend für Abende 30 Minuten die Realität manipuliert wird. Für ihn, der in unterversorgten Läden einkaufen geht, der mit dem Gehalt nie auskommt, der niemals an einer Demonstration für irgendetwas wird teilnehmen können, der kein Geld hat, um im Internet zu lesen, was ich schreibe, für ihn ist es wie eine Sucht und eine masochistische Freude, auf dem Bildschirm ein Kuba zu sehen, wie es Díaz-Canel gefällt.