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„Die SWB tut, als wäre sie das nette Unternehmen von nebenan“

Mit einer Demo machen Aktivist*innen von „deCOALonize“ heute darauf aufmerksam, welche Folgen die Bremer Steinkohlewerke mit sich bringen – für das Klima und für die Menschen in den Abbaugebieten

Interview Alina Götz

taz: Frau Ottner, was hat Kohleverstromung mit Menschenrechten zu tun?

Lina Ottner: Steinkohle wird zu hundert Prozent importiert, in Deutschland vor allem aus Russland, Kolumbien, Südafrika und USA. Und die Abbaubedingungen sind katastrophal. Es kommt zu Menschenrechtsverletzungen, Indigene werden vertrieben oder ihrer Lebensgrundlage beraubt. Proteste werden oft gewalttätig beendet. In Russland erfolgt der Abbau in einer Region im Süden Sibiriens. Die Kohle wird dort aus dem Boden herausgesprengt, der ganze Kohlestaub legt sich über die Dörfer. Über 90 Prozent der Trinkwasservorräte sind bereits vergiftet.

Wird der soziale Aspekt des Klimawandels Ihrer Meinung nach oft zu wenig thematisiert?

Ich denke, dass die Klimabewegung, die ich schon eher Klimagerechtigkeitsbewegung nennen würde, es geschafft hat, den Aspekt aufzuzeigen: dass die Menschen, die am wenigsten zur Klimakrise beitragen, am ehesten darunter leiden. Aber der Aspekt des Neokolonialismus fehlt, den wollen wir in der Debatte stärken.

Der Kohleausstieg ist im Bremer Koalitionsvertrag für 2023 festgelegt. Warum demonstrieren Sie ausgerechnet jetzt?

Energie in Bremen

Im Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grüne und Linke heißt es: „Wir wollen den Kohleausstieg für die Bremer Stromproduktion bis 2023 erreichen. Wir stoßen dafür einen Prozess in Bremen zusammen mit den Betreibern, Beschäftigten, Betriebsräten und Gewerkschaften der Kohlekraftwerke und Verbänden an.“

Die SWB betreibt in Bremen zwei Steinkohlekraftwerke, in Hastedt und Häfen. Das Steinkohlekraftwerk in Farge wurde in diesem Jahr an den amerikanischen Konzern Riverstone Holdings verkauft, zuvor hielt es die Engie-Gruppe.

Der Kohleanteil am Bremer Strommix machte laut SWB 2018 gut 22 Prozent aus. 64 Prozent kommen aus erneuerbaren Energien, sieben Prozent aus Erdgas, sechs Prozent aus Kernenergie.

Der Kohleausstieg im Koalitionsvertrag ist nur eine Absichtserklärung, die Umsetzung ist bisher nicht geklärt. Wir lassen uns davon nicht blenden. Wir demonstrieren heute im Rahmen des europäischen Aktionswochenendes des „deCOALonize Europe“-Bündnisses. An verschiedenen Orten entlang der Lieferkette von Steinkohle, so auch am Hamburger Hafen, finden Proteste statt. Und in Bremen sorgen die Steinkohlekraftwerke der SWB nicht nur für ein Anheizen der Klimakrise, sondern für eine Weiterführung der Kolonialgeschichte Bremens. Es ist wie früher: Umweltzerstörung und Menschenrechtsverletzungen verbleiben in den Abbaugebieten, Rohstoffe und Profite werden importiert.

Die SWB gehört zu EWE, das Kraftwerk in Farge einem amerikanischen Konzern. Ist das ein Problem für die Einflussnahme durch die Politik?

Ja, auf jeden Fall. Zumal ein SWB-Sprecher in einem Interview gesagt hat, dass die Politik ja Wünsche äußern kann, aber dass die SWB das dann nicht umsetzen müsse. Wir brauchen deshalb öffentlichen Druck für einen sofortigen Kohleausstieg. Jeder Tag, an dem in Bremen Kohle verbrannt wird, ist einer zu viel.

Was erhoffen Sie sich von der Demonstration?

Lina Ottner, 25, ist Aktivistin im Aktionsbündnis „deCOALonize Europe“.

Wir wollen die SWB enttarnen, weil sie so tut, als wäre sie das nette Unternehmen von nebenan. Die will sich grün anstreichen. In Wirklichkeit aber importiert sie blutige Steinkohle, die 25 Prozent des Strommixes ausmacht. Außerdem wollen wir an die Kolonialgeschichte Bremens erinnern, die immer noch weitergeführt wird. Und das ist erst ein Auftakt, mit der SWB sind wir noch nicht fertig.

Wer steht hinter dem Bündnis „deCOALonize Europe“?

Wir sind ein sehr junges europäisches Bündnis, uns gibt es seit letztem Jahr. Gruppen der Bewegung für Klimagerechtigkeit und für den Kohleausstieg haben sich zusammengeschlossen und stehen in Solidarität mit den Menschen in den Abbauregionen. Wir stehen in Kontakt mit betroffenen Menschen aus Kolumbien und Russland.

Am bundesweiten Aktionswochenende demonstriert „deCOALonize Europe“ gegen Steinkohlekraftwerke in Bremen. Die Demo startet Samstag um 11 Uhr am Antikolonialdenkmal an der Bürgerweide

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