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Familie, Freundschaft, Giftmord und ein Alien

Synergie ist sexy: Ein Blick auf die queeren Filmfestivals, die in Bremen bereits laufen und nächste Woche in Hamburg beginnen

Von Wilfried Hippen

Lesbisch-schwule (und längst auch trans*-) Filmfestivals haben in vielen deutschen Städten schon eine Tradition. So stehen in Hamburg die 30. Lesbisch Schwulen Filmtage an, und in Bremen läuft bereits das 26. Queerfilm-Festival. Die dahinter stehenden Initiativen haben über die Jahre unter anderem gelernt, dass es lohnt, zusammenzuarbeiten. So sind sie gegenüber Produzenten und Verleihern in einer viel besseren Position, wenn sie nicht nur über einzelne Vorstellungen verhandeln müssen, sondern gleich für mehrere Termine (und Städte).Vier Spielfilme stehen nun in Bremen und in Hamburg auf den Programmen, darunter drei internationale Produktionen, die bei der diesjährigen Berlinale liefen – im „Panorama“, seit Langem so etwas wie die queere Sektion des Berliner Festivals.

Beklemmende Enge

Der erzählerisch wie auch stilistisch ambitionierteste ist die chinesisch-spanische Produktion „A Dog Barking At The Moon“: In ihrem Regiedebüt erzählt die Filmemacherin Xiang Zi durchaus autobiografisch inspiriert von einer Familie, die dadurch innerlich vergiftet wird, dass sowohl der Mann wie auch die Frau ihre queeren Neigungen nicht offen ausleben konnten – in der chinesischen Gesellschaft ist Homosexualität ein Tabu.

Die Mutter konnte nie zugeben, dass ihre erste, vielleicht einzige große Liebe eine Schulkameradin war. Sie heiratete, um den Erwartungen zu genügen, bekam eine Tochter, die dann, erwachsen geworden, vor der niederdrückenden Atmosphäre bis in die USA floh. Irgendwann erwischt die Mutter ihren Ehemann im Bett mit einem anderen Mann und schließt sich ausgerechnet einer reaktionären buddhistischen Sekte an. Das klingt nach purem Melodram, ist aber subtil und kunstvoll erzählt, auf mehreren Zeitebenen und mit so einfühlsam wie komplex gezeichneten Figuren

Surreale Landschaften

Santiago Lozas „Breve Historia Del Planeta Verde“ ist eine queere Antwort auf „Die Reise“ von Pino Solanas, einen ebenfalls argentinischen Klassiker: beides Roadmovies im Stil des magischen Realismus, deren Protagonist*innen in surrealen Landschaften eher traumwandeln als reisen. In Lozas Neuinterpretation nun findet die Trans*frau Tania im Haus ihrer verstorbenen Großmutter ein lilafarbenes Alien vor, das wie einst Steven Spielbergs E.T. einem Kleinkind gleicht und „nach Hause“ will. Zusammen mit ihrem schwulen Freund Pedro und ihrer Freundin Daniela macht Tania sich auf die Suche nach dem Ort, wo der Gast – und sie selbst – schließlich in den Himmel aufsteigen. Das Alien ist hier unschwer als Metapher zu lesen: für die Schwierigkeiten, ein queeres Leben zu führen in einer streng patriarchalen Gesellschaft.

Von Argentinien nach Brasilien: Der Titelheld von „Greta“ ist ein 70-jähriger Krankenpfleger, den Geliebte und Freund*innen „Greta Garbo“ nennen sollen – weil er die Schauspielerin so verehrt, die außer ihm kaum noch irgendwer kennt. Regisseur Armando Praca legt das Porträt eines eigensinnigen, alternden Schwulen vor, der auf Moral und Gesetze pfeift, wenn es um sein Glück geht: So schmuggelt dieser Pedro (Marco Nanini) den unter Mordverdacht stehenden Jean (Demick Lopes) aus dem Krankenhaus, damit ein Bett frei ist für seine Trans-Freundin Daniela (Denise Weinberg). Während er den deutlich jüngeren Mann mit der Schnittwunde gesund pflegt und bei sich wohnen lässt, entwickelt sich eine erotische Beziehung, bei der lange unklar bliebt, ob Jean den Älteren liebt – oder nur ausnutzt.

Der „perverse“ Mörder ist ein Klischee im traditionellen Unterhaltungskino, das queere Kino wollte gerade dazu Gegenbilder stiften

Echte Mordgeschichte verarbeitet

Inzwischen 76 Jahre alt ist Regisseur Rosa von Praunheim, legt aber zuverlässig jedes Jahr einen neuen Film vor. „Darkroom – Tödliche Tropfen“ heißt sein Beitrag zur aktuellen Welle an Filmen über reale Verbrechen. Sauer aufstoßen könnte dabei, dass es darin um einen schwulen Giftmörder geht: Denn der „perverse“ – mehr oder minder ausdrücklich: schwule – Mörder ist ein nicht tot zu kriegendes Klischee im traditionellen Unterhaltungskino, und eine der Motivationen queeren Kinos bestand gerade darin, dazu Gegenbilder zu stiften. In diesem Zusammenhang haben schwule Mörderfiguren lange keinen Platz gefunden – aber so richtig souverän ist diese Haltung natürlich auch nicht.

Von Praunheim also traut sich wieder einmal was, wenn er hier einen Fall verarbeitet, der 2012 in Berlin schockierte: Ein Krankenpfleger vergiftete in drei Wochen drei ebenfalls schwule Männer mit einer tödlichen Dosis K.o.-Tropfen. Erzählt ist diese Geschichte anhand der Gerichtsprotokolle, sachlich und ohne jede romantische oder tragische Überhöhung: Lars wächst in Saarbrücken auf und folgt seinem Freund Roland nach Berlin.

Von Praunheim verzichtet auf jede Spekulation darüber, warum Lars dann zum Serienmörder wird. Der für seine Filme so typische Antirealismus – Amateurdarsteller*innen und als solche erkennbare Kulissen – passt nicht recht zum Realitätsanspruch dieser „wahren Geschichte“. Und dass mit der Staatsanwältin eine der wenigen Frauen in einer Traumvision als Furie gezeichnet wird: unfreiwillig komisch.

A Dog Barking At The Moon: So, 13. 10., Bremen; Fr, 18. 10., Hamburg

Breve Historia Del Planeta Verde: So, 13. 10., Bremen; Do, 17. 10., Hamburg

Greta: Do, 10. 10, Bremen; So, 20. 10., Hamburg

Darkroom – Tödliche Tropfen: Fr, 11. 10, Bremen; Fr, 18. 10., Hamburg

26. Queerfilm-Festival Bremen: bis 13. 10., Bremen, City 46;

www.queerfilm.de;

30. Lesbisch schwule Filmtage: 15. – 20. 10, Hamburg, div. Kinos; www.lsf-hamburg.de

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