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Innovativer Bürgerrechtssound

Bei der zweiten J.A.W. Family Reunion gibt es drei spannend kuratierte Veranstaltungen. Darunter eine besonders bemerkenswerte: der 50. Geburtstag des kurzlebigen, aber einflussreichen Labels Black Jazz Records wird gefeiert

Von Stephanie Grimm

J.A.N. – Just Another Nigger: mit diesem Gelegenheits-Alias kommentierte Kenny Dixon Jr., besser bekannt als Moodyman, einst sarkastisch den Rassismus im Musikgeschäft. Der House-DJ und Produzent, der offensiv seine afroamerikanische Identität und Geschichte reflektierte, fühlte sich von weißen Bookern und Geschäftspartnern nicht auf Augenhöhe wahrgenommen und zudem von der Industrie seines kulturellen Erbes beraubt.

Die damals Mitte 20-jährigen Brüder Thomas und Edouard Vermynck aus Paris fingen 2005 an, Partys zu veranstalten. Ihre musikalische Liebe hieß Detroit Music; House-DJs wie Theo Parrish oder eben Moodyman waren ihre Helden. Natürlich wollten sie auch diese Künstler buchen, erklärt Thomas, der seit gut 10 Jahren in Berlin lebt und die Agentur nach wie vor mit seinem Bruder betreibt, mit einem Standbein in Paris und einem in Berlin. Deren Kritik an dem im Musikbusiness allgegenwärtigen Rassismus nahmen die Vermyncks aber durchaus ernst. „Ich habe mich gefragt, ob ich überhaupt die nötige credibility haben kann“, erzählt er. Wie könne man eine respektvolle Ebene finden, nicht als Abzocker wahrgenommen werden?

Heute kann man sagen: Es ist ihnen gelungen. Mittlerweile arbeitet die J.A.W. Family – wie man sich seinerzeit, wohl aus einer Mischung einer Übermut und Unverfrorenheit in Anlehnung an Moodymans Alias nannte: Just Another White Family – seit 13 Jahren mit diesen und anderen Künstlern zusammen. Dass sie sich Familiy nennen, hat einen realen Hintergrund: Nicht nur waren die Initiatoren Brüder und organisierten die Veranstaltungen mit einem gefühlten Verwandten, ihrem Freund Julien Chiche; darüber hinaus bekochte die Mutter in den Anfangstagen die Künstler zu Hause, Chiches Onkel kutschierte die Musiker herum.

Denen gefiel diese Art der Zusammenarbeit. Über die Jahre erweiterte sich Fokus der J.A.W. Family hin zum Jazz – schlichtweg, weil sie sich mit den Wurzeln der Musik beschäftigten, die sie faszinierte. So stießen sie immer tiefer in Jazzgefilde vor. Neben den Partys veranstalteten sie zunehmend Konzerte. Dazu, dass Jazz seit einigen Jahren auch in Berlin von jungen Leuten in Clubs und auf Konzertbühnen gefeiert wird, hat die umtriebige J.A.W Family ihren Beitrag geleistet: Schließlich kam das Revival hier langsamer in die Gänge als in London oder auch Paris, wo Jazz und Jazz-Inspiriertes junge Leute schon seit den frühen nuller Jahren auf die Tanzfläche zog. Die ersten Jahre in Berlin waren zäh, erinnert sich Thomas Vermynck. Jetzt gibt es zur zweiten J.A.W. Family Reunion drei spannend kuratierte Veranstaltungen; die erste fand vor drei Jahren anlässlich der leicht verspäteten Sause zum zehnten Geburtstag mit Gästen wie dem Trompeter Christian Scott und dem Robert Glasper Experiment statt.

Darunter ist die ganz besonders bemerkenswerte Veranstaltung, mit der der 50. Geburtstag eines kurzlebigen, aber höchst einflussreichen Labels gefeiert wird. Black Jazz Records wurde 1969 in kalifornischen Oakland vom Pianisten Gene Russell ins Leben gerufen – laut Wikipedia das erst zweite von einem Afroamerikaner geleitete Jazzlabel. Das erste, Sunshine Records, war 50 (!) Jahre zuvor von den Gebrüdern Spikes gegründet worden. Etwa zur gleichen Zeit entstanden in Detroit die Firma Strata und das Label Tribe in New York – eine frühe Form dessen, was später als Independent-Labels die Musikindustrie neu sortieren sollte: Musiker brachten ihre Musik selbst heraus, statt nach den Regeln der Industrie zu spielen.

Bei Black Jazz Records erschienen über vier Jahre 20 Alben, in kleiner Auflage; ihre eigenwillige Interpretation von Jazz bot Alternativen zu Traditionellerem und gab neben dem Spiritual Jazz auch Funk, Soul und Free Jazz Raum. Black Jazz Records spiegelte den von der Bürgerrechtsbewegung inspirierten Zeitgeist wider und war doch bald schon wieder Geschichte. Wieder ausgegraben wurde der innovative Sound in den 1990er Jahren, etwa durch Samples in Tracks von A Tribe Called Quest oder durch prominente Fans wie dem Londoner DJ Gilles Peterson oder eben Theo Parrish, der eine Black-Jazz-Compliation herausbrachte. Parrish ist Mitveranstalter des All-Star-Konzerts am 10. Oktober im Festsaal Kreuzberg (zwei Tage vorher wird es übrigens in Paris stattfinden); vorab legt er zudem auf.

Dort werden die prominentesten Musiker des Labels erstmals zusammen spielen, knapp 50 Jahre, nachdem sie mit Black Jazz Records ziemlich bahnbrechende Musik veröffentlichten. Mit dabei ist das berühmteste Aushängeschild der Pianist Doug Carn, der zusammen mit seiner damaligen Frau, der Sängerin Jean Carn vier Alben auf dem Label herausbrachte. Später hatte sie eine Karriere als R&B-Sängerin. Die beiden sind kein Paar mehr, treten aber seit einigen Jahren wieder gemeinsam auf; unter anderem bei der Trauerfeier für Aretha Franklin vergangenen Sommer – und nun eben auch in Berlin. Unterstützt werden sie von dem Schlagzeuger Michael Carvin, der auf ihrem Labeldebüt „Infant Eyes“ mitspielte und dem Posaunisten Steve Galloway, der einst bei The Awakening mitwirkte, der wohl zweitberühmtesten Formation des Labels. Man darf gespannt sein.

Vermynck erzählte, er mag keine Tribute-Veranstaltungen: „Man muss die Leute feiern, so lange sie leben.“ Da ist man gerne dabei. Und am Wochenende geht die geschichtsbewusste J.A.W. Family dann auch schon wieder in die Gegenwart dahin, wo sich sonst die Raver tummeln: Drei Tage werden Djs anlässlich der Family Reunion in der Neuköllner Griessmühle House, Funk und einiges mehr auflegen.

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