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Mit klarer Kante

Die Buchhandlung zur Heide kämpft in Osnabrück mit steigenden Mieten und sinkenden Leserzahlen. Trotzdem kann Inhaber Lennart Neuffer nun das 100-jährige Bestehen feiern

Von Marie-Luise Braun

Wäre es seine Art, hätte Lennart Neuffer vergangenes Jahr groß feiern können: 20 Jahre Inhaber der Buchhandlung zur Heide im niedersächsischen Osnabrück. Jetzt begeht er ein noch größeres Jubiläum: Die Buchhandlung wird am 1. Oktober 100 Jahre alt. Ausgerechnet im Jubiläumsjahr stand eine Veränderung an, musste das Geschäft umziehen – nach immerhin 37 Jahren an derselben Adresse.

„Veränderungen gehören dazu“, sagt der 65-jährige Neuffer. Er wirkt nüchtern angesichts der Sorgen, die ihm die vergangenen Monate bereitet haben: Folgen die Kund*innen? Gibt es am neuen Standort genug davon? Fühlen sich die vier Mitarbeiterinnen dort wohl?

Zunächst aber mussten neue Räume gefunden werden, und das in Zeiten eines durchdrehenden Immobilienmarkts: Um 176 Prozent habe der Eigentümer die Miete erhöhen wollen, sagt Neuffer – bei verkleinerter Verkaufsfläche. Aber etwas Passendes, Bezahlbares in guter Lage zu finden, das war nicht einfach, auch wenn in Osnabrück derzeit Geschäfte leer stehen.

Im Mai ist die Buchhandlung dann umgezogen. Wo sie bis dahin Bücher angeboten hatte, gibt es jetzt was auf die Gabel: vom dort eröffneten Schnellimbiss. Zur Heide findet sich nun nicht mehr mitten in, sondern am Rand der Fußgängerzone.

Insgesamt vier inhabergeführte Buchläden gibt es noch in der Stadt, dazu die Dombuchhandlung, die der katholischen Kirche gehört, aber von einem örtlichen Buchhändler geführt wird – und die üblichen Filialen der Ketten Thalia und Weltbild. Die Konkurrenz ist also nicht eben klein. Aber zumindest die inhabergeführten Geschäfte und die Dombuchhandlung wollen sich nicht gegenseitig das Wasser abgraben: Sie haben unterschiedliche Schwerpunkte, bieten gemeinsame Veranstaltungen an.

Kulturelle Aufgaben

Erst mal stellte sich der Umzug als Glücksfall heraus: „Es läuft besser als vorher“, sagt Neuffer. Andererseits: „So richtig kann man das ja erst nach einem Jahr sagen. Uns fehlen jetzt noch die Erfahrungen aus dem Weihnachtsgeschäft. Das sind für uns die wichtigsten Monate des Jahres.“ Ein Pluspunkt zeigt sich aber schon: Es gibt mehr Platz für die Kundschaft. Sitzen und Stöbern kann die jetzt in Sesseln, die im alten Geschäft eher im Weg standen.

Weil er Bücher so liebt, hat Neuffer Publizistik studiert. „Es ist eine Möglichkeit, mit der Welt Kontakt aufzunehmen und etwas über sie zu erfahren“, sagt er. „In den emotionalen Welten, die beim Lesen entstehen, sind Bücher ziemlich unerreicht.“ Buchhandlungen, manche wenigstens, gehen aber noch weiter: Sie übernehmen kulturelle Aufgaben. Neuffer selbst etwa lädt seit 1998 in der Reihe „Littera“ Autor*innen zu Lesungen. Das Programm reicht von bekannten großen Namen bis zu lokalen Schreibenden. Die Reihe lockt auch überregional Zuhörer*innen an, 2004 wurde sie deshalb aus der Buchhandlung in einen größeren Veranstaltung­saal verlegt. Und bereits viermal in Folge wurde die Buchhandlung als „ausgezeichneter Ort der Kultur“ mit dem Deutschen Buchhandlungspreis geehrt.

„Wir wissen sehr viel von den Menschen, die zu uns kommen“, sagt Neuffer. Und die Kund*innen wissen, was sie von der Buchhandlung erwarten können. Die zeigt auch mal klare Kante: Als Bettina Wulff 2012 ihr Buch über ihre Zeit als First Lady veröffentlicht hat, bot Neuffer es nicht an.

Veränderung nichts Neues

Mit Blick auf die Klagen mancher Kolleg*innen über Online-Anbieter und große Ketten findet Neuffer, dass es selbstverständlich sei, auf Veränderungen zu reagieren: „Das ist auch schon vor dem Internet so gewesen.“ Aber auf Zahlen und Prognosen zum Buchmarkt gibt Neuffer nicht viel, den Abgesang aufs Lesen hält er für ruf-schädigend.

Schließlich hat, im März dieses Jahres erst, der Börsenverein des Deutschen Buchhandels vermeldet, dass sich die Zahl der Lesenden in Deutschland seit 2012 erstmals wieder erhöht habe: um 300.000. „Der Jahresumsatz schwankt auch“, sagt Neuffer schulterzuckend. „Mal um 10.000 Euro, mal um 20.000 Euro. Woran das liegt, kann doch eigentlich niemand sagen.“

Ihr Jubiläum feiert die Buchhandlung mit erklärt besonderen „Litera“-Veranstaltungen. Das Highlight sind die Kultur-wissenschaftler*innen Aleida und Jan Assmann: Am 21. Oktober sprechen sie im „Blue Note“ über „Kulturelles Gedächtnis und europäischen Traum“.

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