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Der Sonntagsmaler mit der feinen Nase

Künstler, Sammler, Kunst- und Weinverkäufer: Der Kunstverein Langenhagen zeigt Arbeiten Kurt Ryslavys. Eines seiner zentralen Sujets sind gemalte Weinrechnungen

Von Bettina Maria Brosowsky

Was man beruflich eigentliche mache? Diese Frage wird einem im Alltag ja mitunter gestellt. Bei Erwähnung bestimmter, als „prekär“ beargwöhnter Professionen folgt dann meist umgehend die zweite Frage: Und wovon lebst du?

Für diese pikante Thematik hat der seit über 30 Jahren in Belgien lebende, aus Österreich stammende Konzeptkünstler Kurt Ryslavy eine ebenso entwaffnende wie philosophisch komplexe Strategie entwickelt: Er trennt konsequent den Broterwerb von seiner multidiszi­plinären Kunstproduktion. Allerdings lässt er diese Trennung dann doch wieder sehr beredt von der Situation im Kunstmarkt, einer fragwürdigen Professionalität und der widerständischen Freiheit des Amateurs erzählen.

1961 in der Steiermark geboren, hat Ryslavy ab 1979 in Wien Philosophie und Kunst studiert, die Studiengänge aber nicht abgeschlossen. Es folgte ein kurzer Aufenthalt in Salzburg, wo er seine individuelle Arbeitsmethodik entwickelte, die Wort und Text sowie Sparten bildender Kunst von der Malerei über Zeichnung, Grafik, Fotografie, Video oder Buchkunst verschränkt. Ein alljährlicher Rückzug in die alpine Einsamkeit bescherte Ryslavy darüber hinaus viele produktive Sommermonate.

Die Rückkehr nach Wien war mit ersten Ausstellungen seiner Arbeiten verbunden, Ryslavy begann langjährige Freundschaften zu Kollegen, etwa zum Wiener Bildhauer Franz West, dem Installationsschöpfer Martin Kippenberger oder Dieter Roth, Schweizer Aktions- und Objektkünstler. Zu ihrer Freundschaft gehörte auch das wechselseitige Tauschen und Sammeln von Werken.

Aber Wien, Österreich ganz allgemein, ist kunstfeindlich, sagt Kurt Ryslavy. Den eingeworfenen Widerspruch, dass Theater, Oper und entsprechende Akteure dort ja geradezu abgöttisch verehrt werden, sieht er als Relikte aus imperialer Vergangenheit, ähnlich der patriotischen Liebe zur Kunst des Barock. Als besonderes Defizit beklagt Ryslavy, dass es keine österreichischen Kunstsammler gebe, vielleicht ein langes Nachwirken des internationalen Bedeutungsverlusts und der Verarmung des Landes durch den ersten Weltkrieg.

Zwar ergriff etwa Bundeskanzler Bruno Kreisky ab 1970 Maßnahmen zur Kunst- und Kulturförderung, aber selbst ein Literat wie Thomas Bernhard fand ja lange Zeit keinen heimischen Verleger. Kunstsammler, überhaupt eine Anerkennung als „Künstler“, gäbe es hingegen in Belgien, wohin Kurt Ryslavy 1987 seinen Wohnsitz verlegte. Er ging in die Hauptstadt Brüssel, wollte literarisch wirken. Dort begründete er 1991 dann auch seine „bürgerliche Existenz“: als Händler österreichischer Weine.

Nun ist Wein ein ja fast spirituelles Konsum- und durchaus christlich-abendländisch aufgeladenes Kulturgut, dessen Inspiration in die Kunst hinein sich alleine schon zu betrachten lohnte. Charles Baudelaire etwa widmete dem Wein mehrere seiner Poeme, sah dessen trostspendende Kraft für die Einsamen oder Armen, den Fluch für den Abhängigen, zum infamen Mord getrieben, oder den berauschenden Zauberhimmel für die Liebenden.

Dem Wein sei Dank verfügt Kurt Ryslavy nun über eine finanzielle Grundausstattung, die ihm die Gelassenheit des „Sonntagsmalers“ erlaubt. Denn einzig an diesem Tag, so erzählt er, geht er von seiner Wohnung ins Atelier, um eines oder zwei Bilder zu malen. Danach verschließe er sorgfältig die Farbtuben, damit unter der Woche nichts austrockne. Eines seiner Sujets ist, vielleicht nicht überraschend, die Weinrechnung, häufig adressiert an Kolleg*innen oder Kunstinstitutionen, die er als „facture décoratif“ in mittelgroße Ölbilder überführt.

Sie sind von erzählerischer aber auch gestisch ästhetischer Kraft, wobei die Schönheit von selbst entstehe, so Ryslavy. Andererseits verhindere sein Weinhandel, als „professioneller“ Künstler in der Logik des Kunstmarkts akzeptiert zu werden: seine konzeptionelle Malerei hat bislang kaum Käufer gefunden.

Im Kunstverein Langenhagen hat Kurt Ryslavy derzeit ein ganzes Füllhorn seiner immensen Produktivität ausgeschüttet, das Grundfesten wie die Wiederholung, die Originalität oder den Verkaufsprozess im Kontext der Kunst thematisiert.

Das Haupthaus zeigt eine stattliche Versammlung seiner Weinrechnungen, aber auch einige seiner über 70, häufig im Eigenverlag produzierten Künstlerbücher, etwa zu „Verkaufswerken“ für Arbeiten von Franz West. Diese künstlerisch rituelle „Transportverpackung“ begleitet den Übergang eines Kunstwerks in kommerzielle Sphären, ist aber selber auch verkäufliches Objekt. Gleichwohl wechselte auch aus dieser Kunstgattung Ryslavys bislang lediglich ein einziges Werk jemals den Besitzer: Es wurde gestohlen während seiner Teilnahme an den „Skulptur Projekten“ 1997 in Münster.

An der Malerei wie gleichermaßen am Wein interessiert Ryslavy auch die olfaktorische Komponente. Beiden ist ein spezifischer Geruch zu eigen, zwei multisensorische Installationen ermöglichen dessen Erfahrung. Täglich aufgefrischter Terpentingeruch rekapituliert den Prozess des Malens, den sein geruchsneutrales Endprodukt vollkommen vergessen lässt.

In einem zweiten Raum ist die Odeur von Wein und Transportkartons zu erkunden, ihre Feinabstimmung erwies sich als wesentlich komplizierter als bei dem intensiven Harzöl. Referenz für diese Versuchsanordnungen ist kein Geringerer als Marcel Duchamp, der Franzose erweiterte den Kunstbegriff nicht nur um das materialisierte Readymade sondern auch um eine immaterielle „Geruchskunst“.

In der profanisierten Kapelle im Eichenpark, die der Langenhagener Kunstverein sporadisch belebt, hat Ryslavy noch 22 „Fetzn“ – nicht gerahmte, großformatige Malerei auf Leinwand – von der Decke gehängt und ein „Verkaufswerk“ in Szene gesetzt. Sie beschwören in der Gottesvakanz nun die Ersatzreligion des omnipotenten Kommerzes, der auch die schöne und autonome Sache der Kunst ja längst korrumpiert hat.

„Kurt Ryslavy - Olfaktorische Probleme, Probleme der Malerei, Probleme der Wiederholung“: bis 10. 11, Kunstverein Langenhagen und Kapelle im Eichenwald

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