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Wenn sich Kreise schließen

Polen ist seit 2004 Mitglied der Europäischen Union. Seitdem muss sich die polnische Abfallwirtschaft einem tiefgreifenden Wandel unterziehen: weg von der Deponierung, hin zur Recyclingwirtschaft. Ein Besuch in Giżycko

Von Dierk Jensen

Möwen, Stare, Krähen fliegen in Scharen herbei. Ein grüner Wall umrandet die seit 2013 bewirtschaftete Deponie, auf dem ein einsamer Radlader in der Mitte ruht. „Genau hier hatten wir unser Land“, sagt Siegfried Komorowski. Der 62-jährige Maler wuchs auf dem Gelände der heutigen Deponie auf einem Bauernhof im sozialistischen Nachkriegspolen auf. Paweł Lachowicz, Chef des kommunalen Entsorgungsunternehmen Zuok, das die Deponie zusammen mit der vorgelagerten Aufbereitungsanlage betreibt, lud Komorowski für eine Bilderausstellung in ihrem Verwaltungsgebäude nördlich der masurischen Kreisstadt Giżycko ein. Mit den Bildern von Komorowski schloss sich auch symbolisch ein Kreis: von der in der staatssozialistischen Zeit angelegten und im Jahr 2013 endgültig stillgelegten Altdeponie hin zur neuen, aktiv bewirtschafteten Deponie, auf der momentan jährlich 18.000 Tonnen Abfall landen.

Bevor Zuok gegründet wurde, hatten die zwölf beteiligten Gemeinden jeweils eine eigene Dorfdeponie. Damit war vor sechs Jahren endgültig Schluss. Seither werden im Einzugsgebiet von rund 100.000 Einwohnern rund 30.000 Tonnen eingesammelt und nach Spytkowo verfrachtet. Was nicht recycelt wird, kommt auf die neue, gemeinsame Deponie. Sie hat das Volumen von rund 400.000 Kubikmeter auf einer Fläche von 2,6 Hektar.

„Das Recycling-Thema ist hierzulande ja immer noch eine relativ neue Angelegenheit ist, so gibt es in Polen bis heute kein Flaschenpfand“, erläutert Paweł Lachowicz. Dabei seien die regulatorischen und wirtschaftlichen Herausforderungen in der polnischen Abfallwirtschaft groß. Denn in Polen dürfen ab 2021 nur noch 35 Prozent der Siedlungsabfälle deponiert werden. Obgleich die Quoten in den letzten Jahren deutlich gestiegen sind, ist noch Luft nach oben. So liegt die Recyclingquote bei Verpackungen landesweit derzeit bei etwas über 40 Prozent. In der Region rund um die 30.000 Einwohner zählende Stadt Giżycko sammeln die Firmen Remondis und Koma aus Lyck die Abfälle ein. Das Sammelsystem besteht aus fünf Fraktionen: Wertstoff, Metall, Glas, Papier, Bioabfall und Reststoffe. Da es kaum öffentliche Papier- und Flaschencontainer gibt, auch selbst in der Innenstadt von Giżycko nicht, gelangen bislang noch relativ große Anteile Papier und Flaschen in den Restmüll. Allesamt Bestandteile, die dann mit großem Aufwand auf der Recycling-Anlage wieder auseinandergepflückt werden.

Auf eine polnische Besonderheit weist Lachowicz hin: „Wir sind hier im Steinkohle-Land Polen. Viele Leute heizen ihre Häuser auch in unserer Region mit Kohle“, sagt er und verweist auf hohe Anteile von Asche im Restmüll. „In harten Wintern haben wir einen Anteil von über 50 Prozent“, was die Recyclingquote empfindlich drückt. Zwar erlauben die nationalen Gesetze grundsätzlich noch eine Deponierung aller Abfälle, deren Energiewert unter 6 Megajoule pro Kilogramm liegen. Da ist Asche problemlos. Jedoch wird die Deponierung in Zukunft immer teurer, sie wird mit empfindlich steigenden Steuersätzen belegt. Mit dem Bau eines Heizkraftwerks, in dem die Deponiegase verfeuert werden, will das Entsorgungsunternehmen die steigenden Kosten kompensieren. Aber auch das ist nicht für die Ewigkeit: Zwar gibt es noch eine Reserve von 3 Hektar, doch wollen Lachowicz & Co. die Deponie spätestens in zwanzig Jahren schließen.

Doch bereitet dem Zuok-Chef die Wertstoffaufbereitung derzeit noch mehr Kopfschmerzen. „Wir machen unseren Job, so gut es geht“, meint der Chef, während ständig neue Müllwagen auf dem Recyclinghof vorfahren. Sie haben Wertstoffe geladen, fahren rückwärts in eine große Halle hinein und kippen ihre Fracht ab. Über ein Förderband gelangt das plastikreiche Recyclingmaterial in einen Raum, wo mehrere Arbeiterinnen die vielen Fehlwürfe mit flinken Händen aussortieren. Gleich hinter dem Sortierraum befindet sich eine Presse, die die hochkalorische Fracht zu großen Ballen presst. Hoch gestapelt warten sie auf die thermische Verwertung, die sich allerdings gegenwärtig als schwierig erweist. „Es gibt eine Lücke zwischen uns als Hersteller von Ersatzbrennstoffen [ESB] und den Abnehmern“, seufzt Paweł. „Wir müssen für eine Tonne ESB rund 100 Euro an den Abholer berappen, der sie dann in eine ein paar hundert Kilometer entfernt liegende Zementfabrik in Südostpolen abliefert.“

Recycling ist ein neues Thema, in Polen gibt es bislang kein Flaschenpfand

Der ESB-Anteil am angelieferten Abfall beträgt im Moment rund 20 Prozent. Der Rest verteilt sich auf 30 Prozent Deponierung, 15 Prozent Recyclingstoffe (Papier, Glas, Elektronik etc.) und rund 35 Prozent organische Abfälle.

Während die EU die polnische Deponiequote weiter drückt, erlaubt das polnische Recht bis heute nicht, dass die Kompostierung organischer Fraktionen zur Recyclingquote angerechnet wird. „Das ist ein echtes Problem, weil wir dadurch die geforderten Quoten nicht erreichen können“, klagt Paweł. Er hofft aber, dass die Politik die Chancen der Kompostierung erkennt. „Dafür braucht es in Zukunft ein Qualitätssiegel, das den Landwirten schadstoff- und fremdstofffreie Komposte garantiert“, blickt Paweł in die Zukunft.

So gibt es bereits Tausende Biotonnen im Einzugsgebiet der Zuok, die rund 800 Tonnen organischen Abfall aufnehmen. Der Blick auf die hinter der Recyclinghalle befindliche Kompostmiete verrät aber, dass es noch wenig Bewusstsein für ein sortenreines Trennen gibt: Bunte und weniger bunte Fehlwürfe sind zuhauf enthalten. Für die Landwirtschaft reicht diese Qualität bei Weitem noch nicht. Was im Übrigen beim westlichen Nachbarn Deutschland mancherorts nicht so viel anders ist.

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