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Landwirtschaft im Klimawandel

Den Klimawandel spüren auch die heimischen Landwirte: Saattermine verschieben sich und neue Schädlinge drohen heimisch zu werden. Das hat aber auch Vorteile: Die ersten Erdbeeren etwa gibt es nun schon im April

Von Dierk Jensen

Seit mehr als zwei Jahrhunderten wirtschaftet die Familie Mougin auf den fruchtbaren Äckern an der Ostsee in der Nähe von Grömitz. Seit einigen Jahren bewirtschaften Heinrich und Frederike den Großbetrieb in der zehnten Generation. Insgesamt 580 Hektar Acker, davon auf 110 Hektar Erdbeeren und auf zehn Hektar Spargel. Für die pflegeintensiven Sonderkulturen arbeiten auf dem Betrieb in der Saison bis zu 350 Erntehelfer aus Polen, Rumänien und Moldawien. Der 39-jährige Mougin verkörpert eine jüngere Generation von konventionellen Landwirten, die auf einen offeneren Dialog zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft setzt. Und auch zum Thema Klimawandel geht er in die Offensive. Für Mougin ist der klimatische Wandel deutlich zu erkennen.

„Die durchschnittliche Jahrestemperatur ist an unserem Standort in den letzten Jahrzehnten nachweislich um 0,7 Grad Celsius gestiegen, von früher 8,7 auf heute 9,4 Grad Celsius“, sagt er mit Vehemenz. Dies hat aus seiner Sicht vieles verändert: im Boden, bei den Kulturpflanzen wie auch im Wald. „Beim Raps hieß es früher, dass er nicht nach dem 20. August eingesät werden dürfte, heute hat sich der Aussaattermin bis zum 1. September verschoben“, wird Mougin konkret. Ähnliches ist bei der Wintergerste zu beobachten; heute könne man dieses Getreide ohne Bedenken bis Anfang Oktober einsäen. Das hat direkt mit der Bodentemperatur zu tun, die tendenziell immer höher wird und im Vergleich zu früher erst später im Herbst absinkt. „Zudem häufen sich die Jahre, in denen es gar keine Frostgare mehr gibt, ganz abgesehen von schützenden Schneedecken“, benennt Mougin weitere Aspekte des Wandels.

Es gibt Veränderungen, daran zweifelt Mougin nicht. Doch ist nicht alles, was sich ändert, unbedingt von Nachteil. „Es ist ja nicht so, dass der Klimawandel uns nur Negatives bescheren würde, nein, wir werden auch von den angenehmen Seiten profitieren.“ Dies gelte auch für seinen arbeits- und kapitalintensiven Anbau von Erdbeeren. „Wir können heute schon viel früher ernten, als das früher der Fall war. Die ersten Erdbeeren gibt es bei uns schon im April, wir haben also eine längere Erntephase“, sagt der ostholsteinische Erdbeer-Grande über seine unter Folie gehaltenen Kulturen.

Aber: Euphorie bricht bei ihm deswegen nicht aus. Wenn die Temperaturen noch weiter steigen sollten, dann kämen wohl auch neue Schädlinge nach Schleswig-Holstein, die man früher hier gar nicht antraf. Beim Mais ist es der Maiszünsler, der immer weiter in den Norden vorrückt. Bei den Erdbeeren ist es die ursprünglich aus dem zentralasiatischen stammende Kirschessig-Fliege, die über die roten Früchtchen herfällt und sie gänzlich ruinieren kann. „Noch haben wir die Kirschessig-Fliege nicht bei uns, aber wenn das mit dem Wetter so weitergeht, dann haben wir sie in Zukunft eben doch, deshalb müssen wir darauf rechtzeitig reagieren“, blickt Mougin nach vorne. Nicht mit Übermut, aber auch nicht als Opfer.

Auch Berufskollege Andreas Koch möchte nicht Opfer des Klimawandels sein. Er hat allerdings eine ganz andere Perspektive auf das Thema, denn er bewirtschaftet seinen Betrieb aus der Nähe von Schönberg nördlich von Kiel bereits seit 1991 nach biologisch-organischen Prinzipien und ist Mitglied im Anbauverband Bioland. „Wir sind mittendrin in den Veränderungen, wohin sich das Ganze bewegt, kann aber keiner wirklich vorausschauen, geschweige denn beantworten“, meint der 57-Jährige nach zwei sehr trockenen Sommern. Koch spricht von deutlich geringeren Erträgen, im Dürresommer 2018 bis zu einem Drittel weniger als in normalen Jahren.

Allerdings war das Jahr 2018 für seinen Betrieb kein absolutes Desaster, einfach „weil ich als Biolandwirt seit vielen Jahren auf eine breite, vielfältige Fruchtfolge mit unterschiedlichen Früchten und unterschiedlichen Saat- bzw. Erntezeitpunkten gesetzt habe“. Zusätzlich arbeitet er mit humusbildenden Pflanzen wie beispielsweise Klee; je mehr Humus im Boden, desto höher auch dessen Wasserrückhaltefähigkeit. „Aus diesem Grund hat uns die letztjährige Dürre nicht so heftig getroffen wie vielleicht andere Betriebe, die sich auf Maximalerträge fokussieren, aber wenig für nachhaltige Maßnahmen für Boden und Kreislauf tun“, erläutert Koch und fügt kritisch hinzu: „Dieses nachhaltige Wirtschaften macht Arbeit und kostet Zeit, insofern ist es doch widersprüchlich, wenn im Zuge der Dürrehilfen gerade diejenigen Betriebe unterstützt werden, die zwar am härtesten von Trockenheit betroffen worden sind, aber doch in den vergangenen Jahren offensichtlich am wenigsten für ihre Böden getan haben.“

Insofern müsse aus seiner Sicht auch die komplette Agrarförderung gerade in Zeiten des Klimawandels gänzlich neu ausgerichtet werden. „Die Subventionen müssen zielgerichteter, flexibler und mehr am Klimaschutz orientiert vergeben werden, alles andere macht keinen Sinn mehr und verfestigt nur bestehende Strukturen, die sich immer weniger als zukunftstauglich erweisen“, bringt es Koch auf den Punkt. Sein Credo: „Weg von den Höchsterträgen, hin zu mehr Stabilität“.

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