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Der Sie-Mann und die Er-Frau

Mit „Orlando“ nach Virginia Woolf eröffnet die Schaubühne die neue Theatersaison. Die Inszenierung von Katie Mitchell ist gut gemacht, lässt aber die Gleichbehandlung der Geschlechter beim Rollenwechsel vermissen

Szene aus „Orlando“ von Katie Mitchell Foto: Stephen Cummiskey

Von Katharina Granzin

„Ich will es alles rasch hinschreiben & so die Einheit des Tones wahren, der in diesem Buch sehr wichtig ist. Er muss halb lachend, halb ernst sein: mit kräftigen Spritzern von Übertreibung“, schrieb Virginia Woolf 1927 in ihr Tagebuch. „Orlando“ zu schreiben war für sie reinste Erholung nach „diesen ernsthaften, poetischen, experimentellen Büchern, deren Form immer so genau durchdacht ist“, die Hauptfigur inspiriert von ihrer guten Freundin und zeitweisen Geliebten, der Schriftstellerin Vita Sackville-West. „Orlando“ erzählt die Lebensgeschichte einer Person, die, als Mann zur Zeit der Renaissance geboren, im Alter von dreißig Jahren plötzlich als Frau erwacht und eine solche bleibt – dabei allerdings noch mehrere hundert Jahre bis ins 20. Jahrhundert lebt.

Für ihre Schaubühnen-Inszenierung des Romanstoffes, mit der vergangene Woche die neue Saison eröffnet wurde, hat Regisseurin Katie Mitchell die Autorin mit auf die Bühne geholt. In einem Glaskasten hoch oben ist eine Sprecherkabine installiert, in der die Schauspielerin Cathlen Gawlich vor einem Mikrofon sitzt und Woolfsche Worte liest. Daneben, so zentral wie dominant, ist die für eine Mitchell-Produktion obligatorische Videoleinwand angebracht, während auf der darunterliegenden, durch Zwischenwände in zahlreiche offene Zellen aufgeteilten Bühne die eigentliche performative Arbeit stattfindet. Hier werden die Spielszenen gemimt, die, abgefilmt, in Echtzeit oben zu sehen sind. Meist doppelt sich so das Geschehen, doch nicht immer; denn zwischen die Live-Projektionen sind vorbereitete Filmaufnahmen geschnitten.

In gewisser Weise ist es so, als steuere die Sprecherin/Autorin die Bühnen-/Filmhandlung. Das zu Sehende ist die Visualisierung ihrer Worte; und die für die Autorin so wichtige „Einheit des Tones“ bleibt gewahrt, denn fast alles, was an diesem Abend im Theater gesprochen wird, sind Sätze, die Virginia Woolf (bzw. die Übersetzerin Brigitte Walitzek) genau so geschrieben hat. Nur das Wenige, das die DarstellerInnen in den Dialogen von sich geben, ist freier und mitunter ganz unerwartet zeitgenössisch. So darf Orlando im Affekt schon einmal „fuck!“ rufen. Viele Szenen kommen aber mit reiner Pantomime aus.

Orlando wird dargestellt von Jenny König, die ihre Figur als Mann wie als Frau mit einer amüsiert doppeldeutigen Grundhaltung anlegt. Durch diesen eingebauten Verfremdungseffekt schlägt sie sich erfolgreich auf die Seite des Woolf’schen Textes, denn auch die Erzählerin geht mit den Leidenschaften in Orlandos Leben nicht hundertprozentig ernsthaft um, sondern unterwirft sie einer überlegen ironischen Betrachtungsweise. Alle anderen Rollen werden von allen anderen gespielt, wozu man sagen könnte, dass das Verb „spielen“ in dieser Inszenierung regelrecht auf seine Grundbedeutung zurückgeführt wird. Von Einfühlung ist keine Rede, die Lust am erfolgreichen Rollenspiel steht im Vordergrund, und Crossdressing ist dabei eine Königsdisziplin. Da werden unablässig Kostüme gewechselt, Frisuren gedrechselt, Requisiten mit atemberaubender Effizienz zu immer wieder neuen Schauplätzen arrangiert, dass es eine Show für sich ist, die logistische Betriebsamkeit auf und neben der Bühne – denn an der Seite ist die Garderobe untergebracht – zu verfolgen. Doch die liegt eh meist in heruntergedimmtem Licht, sodass es vor allem die große Videolein­wand ist, die die Aufmerksamkeit anzieht.

So weit, so gut gemacht. Mitchells Konzept geht auf, die DarstellerInnen sind mit Einsatz und Spielfreude bei der Sache, und die Erzählerin oben in ihrer Glaskabine kann sich freuen, dass alle nach ihrer Pfeife tanzen. Aber trotz aller konzeptuellen Präzision und darstellerischen Leichtigkeit wird der Abend von einer gewissen Gediegenheit durchzogen; und das liegt nur zum Teil daran, dass man der Videoleinwände im Theater allmählich überdrüssig wird. Eher ist es so, dass alles ein wenig zu erwartbar abläuft.

Es gibt ein Konzept, das wird befolgt, Überraschungen gibt es kaum. Abgesehen von der Art des Spiels mit den Genderrollen, bei der eine deutliche Ungleichbehandlung der Geschlechter beim Rollenwechsel zu spüren ist. Das hinterlässt einen merkwürdigen Beigeschmack. Warum ist es nicht komisch, wenn eine Frau als Mann auftritt, aber sobald ein Mann als Frau kommt, wird eine lustige Transennummer daraus? Bei aller erzählerischen Ironie: Es ist schwer vorstellbar, dass dieses Ungleichgewicht im Sinne der Autorin gewesen wäre, deren Text Katie Mitchell ansonsten so getreulich gespiegelt hat.

„Orlando“, Schaubühne, 11. 9., 12. 9., 18 Uhr und weitere Vorstellungen

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