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Steine mit Flügeln

Das Gerhard-Marcks-Haus präsentiert Werke der Hollweg-Preisträgerin Claudia Piepenbrock

Von Jan-Paul Koopmann

Sich annähern, die richtige Distanz finden und um Zugänge ringen: Worum es in der Kunst ja immer irgendwie geht, das hat Claudia Piepenbrock zum Programm erhoben. Da wären etwa diese Felsen, die keine sind. Drei gewaltige Brocken ruhen in Metallständern, die nicht so recht klären, ob sie nun vorm Umfallen schützen, festhalten oder die Objekte schlicht auf die richtige Höhe bringen sollen. Diese Felsen wirken sonderbar schwerelos, weil sie tatsächlich aus Pappmaché sind und weil der Raum an beiden Eingängen mit einem Drahtgitter begrenzt wurde, als könnten die Steine sonst wegfliegen. Vielleicht sperrt der Zaun aber auch das Publikum aus, oder er macht es im Gegenteil erst möglich, sich ausdrücklich zu nähern – oder wieder ganz was anderes. Claudia Piepenbrocks Kunst ist offen, bedeutsam wahrscheinlich gerade, weil sie die Irritation der Besucher*innen auf bemerkenswerte Weise mitdenkt.

Weit über die jeweiligen Skulpturen hinaus hat Piepenbrock die Nutzung des Museums ausgestaltet, vom Kunstwerk als Sitzmöbel bis zur Wirkung ihrer Arbeiten auf Licht und Akustik. 2016 hat Claudia Piepenbrock den Hollweg-Preis erhalten. Dass die damit verbundene Ausstellung nun im Gerhard-Marcks-Haus stattfindet, liegt daran, dass Direktor Arie Hartog sie noch aus der Jury dazu eingeladen hat. Weil sie ihn auf Anhieb überzeugt habe, sagt er, und weil Piepenbrock in der Praxis so ausdefiniert wie leichthändig durchspielt, was museale Debatten in der Theorie seit mindestens 40 Jahren umtreibt: Eben die Teilhabe der Betrachter*innen an der Installation. „Zustand in Zonen“ klärt das abstrakt, lässt aber keinen Zweifel an der gesellschaftlichen Relevanz solcher Fragen. Das zeigt eine Arbeit aus dem vergangenen Jahr, die Piepenbrock hier wieder integriert hat: „Trans“ besteht aus Neonschrift in Aluminiumrahmen. „Grenze“ steht dort in lila leuchtenden Buchstaben, „Transit“ oder „Station“. Ursprünglich war diese Arbeit an der Glasfassade der Sparkasse hinter dem Hannoverschen Hauptbahnhof zu besichtigen. Wo hinter der Scheibe die Banker*innen sitzen und davor die Junkies: „Transparenz“ hat Piepenbrock wunderbar widersprüchlich auf die Scheibe geschrieben.

Ihre Wucht hat diese Arbeit vom sozialen Brennpunkt mitgebracht, als Eingriff in den Raum und Übergriff aufs Publikum funktioniert sie aber auch hier. Es ist schon erstaunlich, wie nah einem das kommt, ohne dabei je plumpe Provokation zu sein. Vielleicht liegt das auch daran, dass Piepenbrocks Widersprüche faktisch überhaupt keine sind, sondern sich eben nur reiben an Konventionen. Dass Piepenbrock so viel mit Schaumstoff arbeitet, liegt etwa nicht daran, wie sich damit so interessante Effekte aus Starrheit und Leichtigkeit erzielen lassen, sondern tatsächlich an den Materialeigenschaften. Weil Schaumstoff sich klemmen, dehnen und spannen lässt. Die Ausstellung spielt nicht, sondern arbeitet sich präzise ab am Material, an der Sprache und an behutsamen Grenzüberschreitungen zur Fotografie oder Soundinstallation. Und mit jedem Raum, beziehungsweise jeder Zone, verdichtet sich der Eindruck, dass es am Ende doch vor allem um einen selbst geht.

Bis 17. 11., Gerhard-Marcks-Haus

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