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Ein Bierchen für die Seenot-Rettung

Die „Guerilla Banking“-Bar ist ein Projekt des Künstlers Christian Wiencke. Gegen eine Spende können Bremer*innen Getränke bekommen und ins Gespräch kommen. Der Gewinn geht an den Verein „Sea Watch“

Von Lukas Scharfenberger

Über rund einem Dutzend aus alten Paletten gebauter Bänke spannt sich ein großes Sonnensegel. Hier, am Osterdeich, bietet Christian Wiencke seinen Gästen einen Ort, um sich auszuruhen, etwas zu trinken und ins Gespräch zu kommen.

„Eine Filterblase gibt es nicht nur im Internet, sondern auch im Alltag – und die gilt es zu durchbrechen“, sagt Wiencke. Seit dem ersten August ist er mit seinem Projekt „Guerilla Banking“ an der Weser. Wenn er die Genehmigung von der Stadt verlängern kann, will er noch bis Ende September hier bleiben.

In der Mitte seiner kleinen Oase steht eine grob gezimmerte Hütte – natürlich auch aus Paletten. Durch ein kleines Loch in der Tür gibt Wiencke die Getränke heraus – alles auf Spendenbasis: „Die Leute sind davon oft überfordert, weil sonst immer überall ein Preis dran steht“, sagt der 47-Jährige. Jeder Betrag über einen Euro geht an den Verein „Sea Watch“.

Sea Watch rettet Geflüchtete aus Seenot. Seine Ausgaben finanziert der Verein ausschließlich über Spenden. Erst Ende Juli sorgte „Sea Watch“-Kapitänin Carola Rackete für internationale Aufregung, als sie sich nach 14 Tagen Wartezeit trotz eines Verbots entschloss, mit 53 Flüchtlingen an Bord in den Hafen der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa einzulaufen.

Im Hafen angekommen, wurde Rackete vor laufender Kamera von der italienischen Polizei festgenommen. Der Schlagabtausch zwischen der Kapitänin und dem fremdenfeindlichen, damaligen italienischen Innenminister Matteo Salvini beherrschte die Schlagzeilen. Der Spendenbereitschaft schadete das nicht, im Gegenteil: Innerhalb weniger Tage wurden über eine Million Euro für Racketes Gerichtskosten und ein neues Schiff eingenommen. Auch Wiencke möchte den Verein mit seinem Projekt unterstützen. „Sea Watch hat zwar viele Spenden bekommen, unterstützt aber auch andere Hilfsorganisation im Mittelmeer“, sagt er.

Für seine Spendenaktion braucht es viel Engagement: Jemand muss die Getränke rausgeben und nachts auf die Bänke aufpassen. Das macht er alles allein. Nur manchmal löst ihn jemand für ein paar Stunden ab, dann geht er ins Viertel und wäscht seine Sachen oder duscht bei einer Freundin. „In den letzten Wochen habe ich keine Nacht länger als fünf Stunden geschlafen“, sagt er.

Wenn Wiencke nicht mit seinen Bänken an der Weser ist, wohnt er in Ottersberg in einem alternativen Wohnprojekt. Als er für sich und seine Mitbewohner Bänke gebaut hat, sei er auf das „Guerilla Banking“-Projekt gekommen: „Dass wir auf einmal einen Ort hatten, an dem wir draußen gemeinsam sein konnten, hat uns gut getan.“

„In den letzten Wochen habe ich keine Nacht länger als fünf Stunden geschlafen“

Christian Wiencke, Künstler und Betreiber der „Guerilla Banking“-Bar am Osterdeich

In seinem Projekt sollen sich Menschen aller Gesellschaftsschichten auf Augenhöhe begegnen können, sagt der studierte Theaterpädagoge. Deswegen sind bei ihm auch alle willkommen. Selbst mit einem Anhänger der AfD habe er sich unterhalten. Die einzigen Personen, die er wegschicken würde, seien diejenigen, die nicht diskutieren, sondern nur ihre Meinung verbreiten wollen: „Mir geht es hier auch darum, dass ich selbst gute Gespräche führen kann. Wenn jemand nur agitiert und nicht in den Dialog gehen will, geht das hier nicht. Man muss sich schon zuhören wollen.“

Gelohnt hat sich das Projekt für Wiencke bereits am dritten Tag. Da habe er eine Psychologin kennengelernt, die gerne solche Bänke wie er in der Abteilung der Kinder- und Jugendpsychiatrie gemeinsam mit ihren Patient*innen bauen wollte. Da er keine Baupläne hätte, sagt Wiencke, habe er sie einfach kurzerhand eingeladen, das Projekt am Osterdeich mit ihm gemeinsam zu realisieren. Wiencke bezeichnet die Aktion als vollen Erfolg. Mit der Psychologin ist er bis heute befreundet, bei ihr wäscht er zurzeit auch seine Sachen.

Aber nicht jede Geschichte ist angenehm. Im letzten Jahr, berichtet er, hätten Leute versucht, eine seiner Bänke in die Weser zu werfen, die Bühne sei bei einer Flut davongeschwommen und in diesem Jahr habe eine Gruppe Jugendlicher versucht, in seine Hütte einzubrechen.

Dennoch: Das Projekt „Guerilla Banking“ zieht seine Kreise. Erst am vergangenen Wochenende hat eine mit dem Erfinder befreundete Gruppe Paletten-Bänke auf dem „Moyn Moyn“-Festival in Oyten aufgestellt. Anders als Wienckes Bänke sind diese bunt angemalt. Am Ende des Festivals wurden die Bänke versteigert. Auch Wiencke will seine Paletten-Bänke verkaufen, wenn er den Osterdeich verlässt. „So viel kann man einfach nicht einlagern“, sagt er.

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