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heute in hamburg„Das Übel steckt in der Normalität“

Szenische Lesung und kleine Feierstunde „Ein ABC der Apokalypse anlässlich der Wiedergeburt der Untüchtigen“, mit Gala Winter, Ruth Marie Kröger, Roger Behrens: 20 Uhr, Barboncino Zwölphi, St. Pauli Fischmarkt 27

Interview Robert Matthies

taz: Herr Stützer, Klimakatastrophe, neuer Faschismus etc. pp.: Ist das Ende der Menschheit wieder nah?

Hans Stützer: Auf jeden Fall so nah, dass alle, die Kinder haben, sich Gedanken machen müssen, wie sie denen erklären, dass es schlimm kommen wird. Nein – das Ende wird wohl nicht kommen, aber die Wahrscheinlichkeit, dass es eine starke gesellschaftliche Zuspitzung geben wird, ist hoch.

Also eher Schrecken ohne Ende als Ende mit Schrecken?

Wenn man sich ansieht, wie das Thema derzeit medial verhandelt wird, in Serien, im Kino oder literarisch: Man hat das Gefühl, dass das dauernde Darüberreden und Konsumieren des Gedankens an die kommende Apokalypse die eigentliche Auseinandersetzung über den Zustand der Gegenwart ersetzt.

So muss man keine Konsequenzen ziehen. Oder über Utopien reden.

Stattdessen wird Alltagskonsum moralisch aufgeladen, also die Klimafrage zum Beispiel auf die Diskussion um Flugscham runtergebrochen. Tatsächlich ist es vielleicht das erste Mal in der Menschheitsgeschichte, dass es keine halbwegs realistischen gesellschaftlichen Utopien mehr gibt. Das ist schon ein sehr bedrohlicher Moment. Es muss darum gehen, das, was wir für Realität halten, nicht so hinzunehmen. Das Übel steckt nicht in den Bosheiten einzelner Leute, sondern in dieser Normalität.

Sie stellen heute ein Ratgeberbändchen vor. Wie geht man denn mit dem drohenden Ende um?

Wir bieten zwar einige pragmatische Ratschläge beziehungsweise Messerformen für notwendige Amputationen an. Aber es ist natürlich nicht wirklich ein Verhaltensbüchlein. Da gibt es ja schon einen großen Markt für technokratische und vor allem maskulinistische Lösungsvorschläge, die eine starke Vater- und Beschützerfigur bemühen wie in der Prepperszene. Wir versuchen stattdessen, uns der Begrifflichkeit aus verschiedenen Blickwinkeln anzunähern.

Foto: privat

Hans Stützer, ca. 50, ist bildender Künstler, Lehrender für Kunst und Kontext und Teil des Interessenverbands „die Untüchtigen“.

Wie?

Über historische Texte von Franz Kafka und Walter Benjamin bis zu absurden Internetchats oder Schnipseln aus alten Hollywoodfilmen.

Sie wollen also das Gerede vom Ende zum Anfang einer Auseinandersetzung machen.

Es geht darum, nachzudenken, ob es doch noch eine Chance auf eine bessere Welt gibt: Wollen wir ein beschissenes Ende der Welt oder ein Ende der beschissenen Welt? Noch haben wir als Menschen ja Möglichkeiten, es anders zu machen.

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