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Was Europa über Europa denkt

Die politische Reisereportage: Für „Driving Europe“ haben die Hamburger*innen Ina Bierfreund, Felix Hartge und Tim Noetzel Menschen in allen Mitgliedstaaten nach ihrer Sicht auf die EU gefragt

Von Wilfried Hippen

Nach ihrem Studium gingen sie auf Wanderschaft: Neun Monate schaufelten sich Ina Bierfreund, Felix Hartge und Tim Noetzel frei, ihre WG in Hamburg lösten sie auf, kauften einen Kleinbus und tauften ihn auf den Namen „Oswald“ und bauten ihn aus, so das sie darin auch essen und schlafen konnten. Europa kennenlernen wollten die drei – aber nicht als Tourist*innen.

Ihr Plan: Sie wollten durch die gesamte Europäische Union fahren und in jedem Mitgliedsland Menschen nach ihren Ansichten zu Europa befragen. Diese Interviews dokumentierten sie mit der Kamera, um ein paar schöne Landschaftsaufnahmen zu machen, kauften sie sich noch ein Drohne für 400 Euro. Aber der Gedanke, tatsächlich einen Film daraus zu machen, geschweige denn, den auch noch im Kino zu zeigen: Darauf kamen sie erst relativ spät während ihrer Reise.

Erstaunlich ist an „Driving Europe“, dass der Film im Grunde ohne Budget gedreht werden konnte. Eine preiswerte digitale Kamera kann heutzutage erstaunlich professionelle Bilder machen, auch Steckmikros bekommt man für ein paar Euros. Und wo früher das zu entwickelnde Filmmaterial für Kosten sorgte, speichert und schneidet man längst digital auf dem privaten Laptop.

Nun soll man das rein Technische nicht mit dem Ästhetischen verwechseln: Bierfreund, Hartge und Noetzel sind keine gelernten Filmemacher*innen, aber ihr 94-Minuten-Film ist durchaus herzeigbar – darf aber nicht mit den gleichen Maßstäben bewertet werden, wie sie sich anlegen ließen an professionell gemachte Dokumentarfilme.

Schief wäre auch der vielleicht sich aufdrängende Vergleich mit den heute so populären, mit ähnlichen technischen Mitteln produzierten Reisefilmen wie „Weit“ von Gwen Weisser und Patrick Allgaier: Die drei Europareisenden hatten ja nicht die Absicht, sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen. Zu sehen sind die Macher*innen in ihrem „Oswald“ nur ein paar Mal, auch fehlen die sonst üblichen Aufnahmen aus dem fahrenden Wagen heraus.

Ihr Interesse war ein eher soziologisches: In den 28 Mitgliedstaaten haben sie Gespräche mit insgesamt 65 Menschen geführt; mindestens ein*e Interviewpartner*in pro Land, das hatten sie sich vorgenommen. Da sind dann, vielleicht naturgemäß, viele Aussagen redundant und auch nicht alle Protagonist*innen so interessant, dass es unbedingt nötig gewesen wäre, sie vorzustellen. Aber die Filmemacher*innen wollten all diesen Menschen durchaus nicht zuletzt „ihr Vertrauen zurückgeben“, so Hartge im Telefoninterview, und deshalb kommen sie nun auch zu Wort.

„Travelling Europe“ folgt nicht chronologisch der Reiseroute, sondern ist in Kapitel eingeteilt, entsprechend den jeweils gestellten und beantworteten Fragen, etwa nach positiven und negativen „Aspekten der EU“ oder deren „Idealzustand“. Dabei machen Bierfreund, Hartge und Noetzel es ihrem Publikum nicht eben leicht: Auf teils abstrakte Fragen antworten die 65 Protagonist*innen häufig – ebenso abstrakt. Nur selten erzählen sie etwa von konkreten Erfahrungen. Wer genau diese Menschen sind, die da reden, erfährt das Publikum so erst nach und nach und eher indirekt.

Seltsam: Während der Reise gab es seitens der Medien viel mehr Interesse an dem Projekt und den Macher*innen als nun am fertigen Film

Knapp die Hälfte der Befragten sind etwa im Alter und aus der gleichen sozialen Schicht wie die Fragesteller*innen, also gut ausgebildet und mit einer eher positiven Einstellung der EU gegenüber. Die Filmemacher*innen haben vor allem in einem ihnen vertrauten Milieu nach Kontakten gesucht. Manchmal haben sie aber auch einfach Zufallsbekanntschaften befragt, Menschen, an deren Haustüren sie klingelten, oder die sie im sommerlichen Garten antrafen. Nun reicht das Spektrum von einer niederländischen Nonne und einem spanischen Polizisten bis hin zu einem zypriotischen Arzt, der allerdings in Deutschland wohnt und arbeitet. Überhaupt treffen wir etliche der Sprechenden in anderen als ihren Heimatländern an – vielleicht ist auch das bezeichnend fürs heutige Europa? Meghan etwa ist US-Amerikanerin und lebt in den Niederlanden. Der Rentner Andrew ist Brite, wohnt aber in Irland, der eritreische Student Kidane in Dänemark.

Von einigen hätte man gerne mehr erfahren: Wie kam es dazu? Warum? Weil sich die Filmemacher*innen aber bemühen, allen etwa gleich viel Zeit vor der Kamera zu geben, wird keine der Geschichten vertieft. Mehr als dass sich der Film auf die Menschen einließe, fragt er Ansichten ab.

Ein deutscher Rentner mit dem Namen Karl-Heinz schimpft sogar ein wenig auf die EU, aber in Großbritannien etwa fanden die drei niemanden, der sich vor der Kamera für den Brexit aussprechen mochte. Die meisten derer, die da zu sehen sind, bemühen sich darum, seriös zu antworten – aber eben das ist auf die Dauer eher ermüdend als erhellend. Da ist man dann geradezu dankbar für die kurioseren Antworten. Etwa denen von Ilia aus Bulgarien: Der verspricht sich von einem vereinigten Europa gar die „Erweiterung der menschlichen Zivilisation ins Weltall“.

Seltsam ist, dass es während der Reise viel mehr Interesse der Medien an dem Projekt gab als nun am fertigen Film. Kurz vor der Europawahl gab es sogar einen kleinen Hype, mit Radiosendungen und Zeitungsberichten über die drei Europareisenden. Sympathisch ist, dass Bierfreund, Hartge und Noetzel gar nicht vorgeben, einen bedeutenden Film geschaffen zu haben. Aber fertig geworden ist er –und soll auch gezeigt werden: Die drei haben selbst eine kleine Kinotour organisiert und gehen mit ihm wieder auf (Deutschland-)Reise. In den nächsten Wochen präsentieren sie „Driving Europe“ in 19 deutschen Kinos, darunter dem Studio in Kiel, dem Cinema Arthouse in Osnabrück, dem Kino am Raschplatz in Hannover und dem City 46 in Bremen.

Premiere: Montag, 2. September, 20 Uhr, Hamburg, Zeise-Kino

https://driving-europe.de

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