Mögliche Koalition in Italien: Das Hinterzimmer bei der Arbeit
In Italien mehren sich die Stimmen, die sich für eine Anti-Salvini-Koalition aussprechen. Vorbild ist dabei ausgerechnet Ursula von der Leyen.
Zu den Eigenheiten der Italiener gehört, dass sie in politischen Dingen sich entweder ausgiebig auf ihre diesbezüglichen Klassiker von Antonio Gramsci bis Machiavelli beziehen – oder aber politische Begriffe, wie abgehalftert und inhaltsentleert sie auch sein mögen, aus dem nördlichen Ausland importieren.
So war es mit dem Begriff „Grosse Koalition“, für die es durchaus auch einen italienischen Ausdruck gegeben hätte (larghe intese), so mit dem „Jobs Act“, der korrekterweise Billig-Jobs-Act hätte heißen müssen, oder mit der begeisterten Übernahme von „New Labour“, als das schon sehr alt aussah.
Die jüngste Erfindung des Italo-Polittalks ist da durchaus origineller. Von der „Ursula-Koalition“ ist neuerdings die Rede, italianisiert „coalizione Orsola“.
Dahinter versteckt sich die Idee einer neuen Mehrheit in beiden Kammern der italienischen Volksvertretung – einer, die derjenigen im EU-Parlament ähnelt, mit deren Stimmen die deutsche Ex-Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen dann doch noch zur Kommissionspräsidentin gewählt wurde.
Salvini auf der Luftmatratze
Die in der Koalition mit der Lega reichlich zerfledderte Fünf-Sterne-Bewegung (M5S), die zwischen Alt-Boss Renzi und Neu-Chef Zingaretti gespaltene Demokratische Partei (PD) und die dem Salvini-Sog ausgesetzte Forza Italia (FI) des alten Sonnyboys Berlusconi – diese einzeln jeweils schlecht dastehenden Gruppierungen sollen die „Ursula-Koalition“ bilden. Dafür warb am Wochenende sogar Altministerpräsident und PD-Instanz Romano Prodi.
Ein solches Bündnis wäre natürlich wesentlich eine Anti-Salvini-Koalition und hätte mit Ursula auch das Bös-Hinterzimmerartige gemein, das scheinbar den Volkswillen Ignorierende. So sieht es jedenfalls der Westentasche-Duce aus Mailand, der seine handstreichartig von Strandparties aus inszenierte Machtergreifung davonschwimmen sieht.
Salvini gleicht in diesen heißen Tagen ohnehin gerade jenem Landsmann, der am Wochenende vor der kalabrischen Küste auf seiner Luftmatratze einschlief und erst vor Messina in Sizilien wieder aus dem Meer gezogen wurde.
Antifaschistische „coalizione Orsola“
Dass die Ursula-Mehrheit im Parlament wohl kein üppiges Polster hätte, stört übrigens nicht weiter, jedenfalls wenn man sich an die Namensgeberin hält. Die hatte das knappe Ergebnis nach ihrer Wahl mit den Worten kommentiert: „In der Demokratie ist die Mehrheit die Mehrheit.“
Womit sie zweifellos recht hat – und wir mit dem Blick auf das heutige Italien vielleicht sogar eher die „Demokratie“ als die „Mehrheit“ betonen würden, denn die „coalizione Orsola“ wäre ja nicht zuletzt eine antifaschistische. Dass Berlusconi noch mal zu so etwas gut sein könnte, hat wohl auch niemand gedacht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung
Serpil Temiz-Unvar
„Seine Angriffe werden weitergehen“