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Notarzt oder Waschlappen?

Eine Neumünsteraner Klinik eröffnet eine virtuelle Notaufnahme. Das soll Wartezeiten reduzieren und Patient*innen in die richtige Behandlung schicken

Von Esther Geißlinger

Annika Seeger klagt über Knieschmerzen. Sie sitzt während der Sprechstunde auf dem heimischen Sofa, Chefarzt Ivo Markus Heer hingegen in einem Sitzungsraum des Krankenhauses in Neumünster. Telemedizin, also die ärztliche Beratung über eine Datenleitung, ist erst seit Kurzem gesetzlich erlaubt. In Neumünster bietet das Friedrich-Ebert-Krankenhaus (FEK) ab diesem Monat erstmals eine „virtuelle Notaufnahme“ an. Ziel ist, die Kranken so zu beraten, dass sie die passenden Fachleute aufsuchen. Damit sollen auch Wartezeiten in der Klinik vermieden werden.

Testpatientin Seeger ist begeistert: „Man kriegt einen festen Termin und kann ihn von überall her wahrnehmen“, sagt die Pflegekraft, die ihre Ausbildung im FEK durchläuft und später in der Notaufnahme arbeiten will. Diese Vorteile sollen möglichst viele Menschen überzeugen, wünscht sich Chefarzt Heer, der Initiator des Projekts. Auch FEK-Geschäftsführer Al­fred von Dollen hofft auf Erfolg.

Denn in der Notaufnahme drängen sich, wie in fast allen Kliniken in Deutschland, Menschen, deren Beschwerden keineswegs für einen medizinischen Notfall sprechen. Aber egal, ob jemand mit einem Insektenstich, Knieschmerzen oder einem Herzinfarkt dorthin kommt: „Wir behandeln alle mit dem gleichen kompletten Aufwand“, sagt Heer. Das reduziere aber die Qualität für die, die schnelle Hilfe bräuchten.

Durch die Sprechstunde in der virtuellen Notaufnahme sollen Beschwerden vorab sortiert werden: „Notarzt, Hausarzt, ein verschreibungsfreies Medikament – oder reicht ein Waschlappen?“: So brachte es Schleswig-Holsteins Gesundheitsminister Heiner Garg (FDP) auf eine nicht ganz ernst gemeinte Formel. Das Land fördert das Projekt mit 500.000 Euro. Dafür stellt das Krankenhaus ärztliches Personal ein, das an zunächst vier Tagen in der Woche jeweils nachmittags die Sprechstunde übernimmt. .

Schleswig-Holstein kämpft seit Längerem dafür, dass gemeinsame Tresen eingerichtet werden, die Kranke dann entweder in die Klinik einweisen – oder in eine Arztpraxis. Die ist in vielen Kliniken im Land direkt im selben Gebäude untergebracht, Kranke werden also nicht nach Hause geschickt.

Auch in Neumünster war geplant, dass die Kassenärztliche Vereinigung (KV) das telemedizinische Beratungsangebot gemeinsam mit der Klinik stemmt. Angesichts der noch nicht ganz klaren Gesetzeslage habe „die KV kalte Füße bekommen“, so Heer. Die Klinik hofft aber auf künftige Zusammenarbeit.

Die virtuelle Notaufnahme ist über einen Button auf der Klinik-Homepage (www.friedrich-ebert-krankenhaus.de) zu erreichen. In einem ersten Schritt wird ein Termin gewählt; per Formular geben die Ratsuchenden ihre Beschwerden und Vorerkrankungen ein, auch die Versichertennummer. „Die Idee war schnell geboren, die technische Umsetzung war schwieriger“, sagt Heer. Die Datensicherheit muss gewährleistet sein. Dazu wird eine TAN-Nummer generiert, mit der sich die PatientInnen in die Sprechstunde einloggen können.

Waschlappen oder Notaufnahme sollte sich meist schnell klären lassen. Schwieriger wird es bei der Frage nach Klinik oder Praxis: Zwischen beiden liege eine „nordkoreanische Grenze“, sagt Heer. Seit Längeren gibt es Versuche, die strikte Trennung des stationären vom niedergelassenen Gesundheitssystem zu lockern. Vor Kurzem hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) angekündigt, die Notfallnummer 112 mit der des Bereitschaftsdienstes der KassenärztInnen, ☎11 61 17, zusammenzuschalten. Darüber kann außerhalb der Sprechzeiten einE ÄrztIn gerufen werden – das Angebot ist aber so gut wie unbekannt.

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