nord🐾thema
: kostprobe

die verlagsseiten der taznord

Schritte ins Schweigen

Mit Alpakas durch Mecklenburg wandern, um zu entspannen? Kann man machen. Bloß bleibt die Frage, wer hier wen durch den Wald führt

Das Alpaka jedenfalls weiß, was es will : Gras! Foto: Andrea Maestro

Von Andrea Maestro

Mein Alpaka legt sich in den Sand und lässt mich dabei nicht aus den Augen. Ich ziehe ein wenig am der hellblauen Leine, die an seinem Halfter befestigt ist. Aber Magic, so heißt der junge Hengst, spannt die Halsmuskulatur an und drückt den Kopf zurück. Dabei macht er ein Geräusch, das entsteht, wenn man einen Schleimpropf von ganz tief unten hochzieht. Ich lasse sofort locker und springe zur Seite. Es erwischt mich nur ein leichter Sprühregen.

So hatte ich mir das nicht vorgestellt. „Erlebt den besonderen Zauber mit diesen wundervollen, charakterstarken Tieren die Natur in ihrer Schönheit und Ruhe zu erkunden“, heißt es auf der Webseite des Hofes Birkenkamp.

Bei „charakterstark“ hätte ich stutzig werden müssen. „Aber was kann es bei all dem Alltagsstress in der Redaktion, dem Großstadtlärm und der Hektik Entspannenderes geben, als mit Alpakas durch einen Wald in Mecklenburg-Vorpommern zu spazieren?“, hatte ich mir gedacht und die Tour mit drei Freund*innen gebucht.

Der Hof liegt in einem kleinen Örtchen, der Bresegard bei Picher heißt. Im Rund der Stallanlagen und dem rot verklinkerten Wohnhaus liegt ein gepflegter Garten. An einem Baum weht eine Hängematte im Wind. Große, schwarze Hühner mit vollem Gefieder und blutroten Kämmen auf den Köpfen laufen frei herum. Ihre Füße sehen aus wie graue Dinosaurierkrallen. Eine rot getigerte Katze stiehlt sich durch den Zaun.

Dieser Hof ist der Lebens­traum von Jenny Dietler und ihrem Mann André. Sie haben ihn vor zwei Jahren gekauft. Die Arbeit mit den Tieren – neben Alpakas leben hier auch fünf Kühe, die sie vor der Schlachtbank gerettet haben –, die Instandhaltung der Gebäude und die Wanderungen, all das machen sie neben ihren Berufen als Informatiker und Biologin.

An der Feuerstelle in der Mitte des Gartens sammeln sich die Spaziergänger*innen. Darunter Mädchen in Alpaka-Superhelden-Shirts, viele Paare, Großstadtkinder. Alpakas, die zu den Kamelen gehören, seien in der Lage zu spucken, sagt Jenny in der Sicherheitseinführung. Menschen spuckten sie in der Regel aber nicht an. Nur andere Alpakas.

Wir gehen in den Stall und die Herde blickt uns neugierig entgegen. Ein braunes Alpaka ist dabei, alle anderen Tiere haben helles Fell, eigenwillige Gebisse und Frisuren auf dem Kopf, mal wollig, mal fransig. André nimmt sich Zeit, um Alpaka und Mensch zu matchen. Hier kommt ihr Herzblatt mit dem Namen: Burni, Baxter, Elvis, Jedi oder Avalon.

Mich führt André zu Magic. Ich kraule dem jungen Hengst den Hals und stehe dabei in einem Pulk von Alpakas. Er ist ganz weich, von seinen Ohren stehen feine Haare ab und er stinkt nicht so, wie man es zum Beispiel bei Schafen erwarten würde. Ich freue mich auf die Wanderung und führe Magic aus dem Stall. Er trottet brav hinter mir her. Einen Meter, zwei Meter, zweieinhalb Meter, dann stoppt er, senkt den Kopf und frisst.

„Geht einfach weiter“, sagt André. Wir sollen vor den Tieren gehen. Die kämen dann schon hinterher. Ich versuche das, aber Magic zieht den Rasen vor dem Stall einem Spaziergang mit mir vor. Ich bin nicht die Einzige, die auf dem Hof gestrandet ist. Von einer Reihe, die sich ordentlich in Richtung Zauntor bewegt, sind wir weit entfernt. André schiebt an. Im Wortsinne. Er schiebt Alpakas am Hintern kräftig in die richtige Richtung.

Wir erreichen den Sandweg, auf dem wir durch den Wald wandern wollen. „Achte darauf, dass der Abstand nicht so groß wird“, sagt André zu mir. Magic ist das zweitjüngste Tier der Herde. Er brauche ein anderes Alpaka, um sich zu orientieren. Ich nehme mir das fest vor. Einfach geradeaus gehen. Nicht zurückblicken. Ziehen. Aber Magic geht keinen Schritt. Der Abstand wächst. Magic kaut auf einem Büschel Gras und spuckt es auf meinen Nebenmann, als der ihm zu nahe kommt. Es bleibt ein Grasfleck auf seinem Shirt zurück. Ich zucke entschuldigend mit den Achseln.

Vor und hinter mir ziehen die Spaziergänger*innen an den Leinen, versuchen die Alpakas vor ihnen am Po in Richtung Wald zu schieben. Niemand ist grob zu den Tieren, aber langsam aber sicher sind wir ratlos. Wir lachen unsicher, versuchen, den Alpakas gut zuzureden. „Na komm, Magic“, sage auch ich mit dem, was ich für eine beruhigende Stimme halte. Es fühlt sich falsch an, die Tiere dazu zu zwingen, als meine Freizeitbeschäftigung zu fungieren. Am liebsten würde ich zurückgehen.

Ganz vorn tritt das braune Alpaka namens Socke aus und trifft André. Er verzieht keine Miene und läuft weiter in der Gruppe umher, um die Wander*innen zu unterstützen. Es ist kein einfacher Tag für ihn.

Ganz vorn tritt das braune Alpaka namens Socke aus und trifft André

Plötzlich ändert sich etwas. Ohne sagen zu können, warum, kehrt Ruhe in die Gruppe ein. Wir laufen hintereinander her. Die Menschen haben aufgehört zu sprechen. Die Alpakas laufen an ihren Leinen, als sei das nie ein Problem gewesen. Auch ich habe endlich verstanden, wie Magic tickt. Solange er körperlich die Nähe eines anderen Tieres spürt, manchmal mit dem Hals an dessen Po stößt, setzt er einen Fuß vor den anderen.

Ich habe jetzt Zeit, um meine Umgebung anzuschauen. Der Wald verändert sich. Erst reiner Nutzwald, dann kommen ein paar Laubbäume dazu. Es ist still. Wir machen eine Rast, damit die Alpakas grasen können. Später klettert André auf einen Holzstapel, um ein paar Fotos von uns zu machen. Ich kraule Magic hinter dem Ohr. So hatte ich Städterin mir diesen Ausflug vorgestellt. Ich komme zur Ruhe. Und auch den Alpakas scheint es jetzt nichts mehr auszumachen, uns über die Sandwege zu führen.

„Es liegt immer an den Menschen“, wird André später sagen. Die müssten sich auf die Tiere einstellen. So schwierig wie heute sei das aber sonst nicht. Als wir wieder im Garten sitzen, an kleinen Tischen, die für die Gäste bereit stehen, veganen Schokokuchen von Jenny vor uns, überlege ich, dass auch die große Gruppengröße ein Problem gewesen sein könnte. Wir waren 20 Spaziergänger*innen und 14 Alpakas. Vielleicht wäre die Stimmung in einer kleineren Gruppe ruhiger gewesen.

Dennoch lehne ich die Spaziergänge hinterher nicht mehr ab. Die Alpakas kommen mit uns Menschen schon klar.

Auf dem Hof Birkenkamp scheint es ihnen gut zu gehen. Alle Tiere sehen gesund aus und stehen mittlerweile wieder auf der Weide. Auch die Kühe, die hinter dem Stall liegen, können selbst entscheiden, ob sie drinnen oder draußen sind. Sie müssen keine Milch mehr geben und nur ab und an mit ein paar Tourist*innen durch die Pampa wandern. Ich überlege tatsächlich, für eine Kuh-Wanderung zurückzukommen. Auf dem Weg lernen wir von den Tieren eines auf jeden Fall – einfach mal die Klappe zu halten.