Canan Coşkun
Mitarbeiterin der Woche
: Ayşe Tözeren

Karikatur: Inga Israel

Die Literaturwissenschaftlerin Ayşe Tözeren wurde in der Nacht auf den 20. August in ihrer Istanbuler Wohnung von maskierten und schwerbewaffneten Polizisten verhaftet. Grund dafür war offenbar eine Denunziation. Nach dreitägigem Polizeigewahrsam wurde Tözeren am Freitag unter Auflagen entlassen.

Ihr wird „Mitgliedschaft in einer bewaffneten terroristischen Vereinigung“ zur Last gelegt. Rechtsanwalt Erdal Doğan sagte taz gazete, dass Tözeren beim Verhör konkret vorgeworfen worden sei, dass sie kleinere Geldbeträge an arme und kinderreiche Familien in einer kurdischen Kleinstadt gespendet habe und sich gemeinsam mit anderen Literat*innen für Frauen und Kinder eingesetzt habe, die bei Kampfhandlungen geschädigt wurden.

Fatih Polat, Chefredakteur der Tageszeitung Evrensel, verteidigte seine Kolumnistin. Sie sei festgenommen worden, weil sie nicht schweige und sich nicht beuge. Tözeren ist studierte Medizinerin und praktizierende Ärztin. Gleichzeitig arbeitet sie als Autorin und Kritikerin und ist als Menschenrechtsaktivistin bekannt. Neben einer Monografie zu selbstkritischer Literaturkritik hat sie gemeinsam mit der Lektorin Sibel Öz unter dem Titel „Fürchte dich nicht, da ist niemand“ Gesprächsprotokolle mit 16 Gefangenen in Einzelhaft veröffentlicht.

Aktuell forscht sie zum Verhältnis zwischen Künstlicher Intelligenz und Literatur, sie schreibt für Tagespresse und Literaturzeitschriften. Am zweiten Tag ihres Polizeigewahrsams konnte Tözeren über ihren Anwalt eine handschriftliche Notiz an die Öffentlichkeit bringen. Der 21. August war ihr Geburtstag. ­Tözeren schrieb, ihre Zelle sei sechs Schritte weit, sie wünsche sich zum Geburtstag, dass ihre Freun­d*in­nen an ihrer Stelle lange in den Himmel blicken. Tatsächlich fand sich in Kadıköy eine Gruppe Menschen zusammen, die für sie Kerzen ausblies und in den Himmel blickte.

Am 23. August stand Tözeren vor Gericht in Çağ­la­yan. Ihre Mutter Hülya Tözeren kam mit Freund*innen, Kolleg*innen aus Literaturbetrieb und Medizin, sowie einigen Journalist*innen zur Verhandlung, setzte sich vor der Absperrung in einen Sessel und wartete auf ihre Tochter. Diese wurde gegen 13 Uhr dem Haftrichter vorgeführt, der sie unter Meldeauflagen frei ließ. Auf unbestimmte Zeit darf Tözeren nicht aus der Türkei ausreisen.

Aus dem Türkischen

von Oliver Kontny