die dritte meinung
: Die Debatte über Greta Thunberg sagt mehr über uns als über sie, findet Dietrich Brockhagen

Dietrich Brockhagen

ist Gründer und Geschäfts­führer von atmosfair. 1997: Fahrt zur Klimakonferenz in Kioto. Als Physiker war seine Aufgabe, die CO2-Bilanz zu erstellen. Ergebnis: Zug und Fähre machten zusammen ca. 7-mal weniger CO2 als der Flug.

Ob Flugscham lange Teil unserer Sprache bleibt, wird sich zeigen; Greta wird es bestimmt. Auch bei ihr liegen Überhöhung und Verdammung eng beieinander, wie ihre Bootsreise in die USA und die Flüge der Schiffscrew zeigen. Aber: Kann es sein, dass selbst in Zeiten von Instagram und Selfie Stick jemand einfach nur deswegen etwas tut, weil es seine Überzeugung ist?

Als ich mit 40 Gleichgesinnten mit Zug und Fähre nach Kioto fuhr, war mir klar, dass nichts anderes infrage kam. Wir hatten Wälder gegen den Startbahnausbau besetzt oder waren anders für die Umwelt aktiv. Es war ein Lebensgefühl.

Das mediale Interesse an unserer Anreise war, vorsichtig formuliert, mau, die politische Wirkung überschaubar. Um wie viel klarer muss es für Greta sein, nur mit dem Boot in die USA reisen zu können? Ich behaupte, sie würde es auch ohne Medien tun, ohne Fans und High-Level-Terminen. Vor einem Jahr hat sie mit den Schulstreiks angefangen, so etwas verändert deine Weltsicht. Es ist einfach: auch wenn China weiter Kohlekraftwerke baut und mein Flug dagegen 0 Prozent ausmacht. Die Entscheidung zu fliegen oder nicht treffe ich zu 100 Prozent.

Meines Wissens ist das Bootsteam von Greta dabei, sich auf eine weltweite Regatta vorzubereiten. Die Fahrt mit Greta ist als Trainingseinheit eingebaut. Man kann nun fragen, ob die Bootscrew für solche Rennen hin- und herfliegen muss, und ob Greta die Flüge zuzurechnen sind. Aber sagt das nicht mehr über uns als über Greta.?

Vor 20 Jahren hat niemanden die Anreise zu einer Konferenz interessiert, heute diskutieren wir immerhin schon darüber. Aber wir sind noch in der Phase von „Was macht die da?“, und schlimmstenfalls suchen wir Haare in fremden Suppen. Was wir noch vor uns haben, ist, den Blick vom „Die da“ zum „Ich“ zu wenden. Bin ich bei einer Reise bereit, auch mit dem Zug oder dem Boot zu fahren? Das sagt mir etwas darüber, wie wichtig die Reise wirklich ist. Und erst dann entscheiden. „Zugstolz“ – noch so ein Wort mit unbekanntem Haltbarkeitsdatum.