: Ein Camp für alle Fälle
Eigentlich sollte das Obdachlosenlager an der Rummelsburger Bucht längst Geschichte sein.Ein Besuch im Camp, das als Modellprojekt gescheitert ist – oder auch nicht, je nach Sichtweise
Von Susanne Memarnia
Morgens um zehn ist nicht viel los im „Camp“ an der Rummelsburger Bucht. Still liegen die Wellblechhütten und Zelte in der Sonne, ein einsamer Hund schnüffelt an zerrissenen blauen Säcken und anderem Müll, der sich um einen überquellenden Container angesammelt hat. Nur an der Feuerstelle ist schon Betrieb: Pavel*, kurz rasierter Kopf und muskulöser nackter Oberkörper mit Schnörkelschrift-Tattoo über dem Herz, klopft mit der Rückseite einer Axt Metallstäbe in den Boden. „Fürs Frühstück“, brummt der junge Pole und zeigt auf den Rost, den er irgendwie an den Stangen übers Feuer hängen will. Seine zwei Kumpel schauen ihm verschlafen zu und reichen sich die Schnapsflasche hin und her.
Seit sechs Jahren ist Pavel in Berlin. Hat viel gearbeitet und saß acht Monate im Knast wegen „Klauen und keine Fahrkarten“. Sein letzter Boss auf der Baustelle habe ihn um zwei Monatslöhne betrogen: „4.000 Euro weg!“, flucht er. Hilfe will er nicht, „ich mache alles alleine“, den Chef habe er krankenhausreif geschlagen, berichtet er und klingt ein bisschen stolz. Dann schaut er ins Feuer und sagt leise: „Ich hasse mein Leben.“
Pavel ist seit einer Woche hier, andere schon seit vorigem Herbst. Eigentlich sollte es das Obdachlosenlager auf der 30.000-Quadratmeter-Brache zwischen Bucht und Ostkreuz, wo ein Aquarium, ein Hotel und 500 Wohnungen entstehen sollen, längst nicht mehr geben. Im Dezember stand die Räumung bevor. Hilfesuchend wandten sich damals einige Bewohner an den Parteitag der Linken, die mit Katrin Lompscher die verantwortliche Stadtentwicklungssenatorin stellt.
Die Unterstützung kam prompt: Bis Ende April dürften sie bleiben, so die Zusage. Sozialsenatorin Elke Breitenbach (ebenfalls Linke) beauftragte die Sozialgenossenschaft Karuna, Müllcontainer und Toiletten aufzustellen, dazu ein Gemeinschaftszelt mit Ofen. Sozialarbeiter sollten Vertrauen aufbauen zu den BewohnerInnen und versuchen, andere Unterbringungsmöglichkeiten für sie zu finden. Schnell hieß es, bei dem Camp würde Rot-Rot-Grün eine neue Form des Umgangs mit irregulären Obdachlosensiedlungen erproben: die BewohnerInnen nicht vertreiben, sondern zusammen mit ihnen nach Lösungen suchen.
Doch das Camp existiert nach wie vor. Ende April verschwanden die Toiletten wieder, der Müllcontainer wird nicht mehr geleert. Das Gemeinschaftszelt war schon im März abgebrannt. Sonst ist alles beim Alten. Die Brache bleibt Anlaufstelle für Rumänen, Bulgaren, Polen und andere Osteuropäer, die zur Arbeitssuche kommen, sowie für deutsche Obdachlose und Punks, die – aus mannigfaltigen Gründen – aus dem Sozialsystem „herausgefallen“ sind.
„Die Sozialarbeiter haben alles Mögliche versprochen, aber nix gehalten“, ereifert sich Anni*, eine junge Punkerin, die sich zu Pavels Gruppe gesellt hat. Sie kam im Februar, nach der Räumung des besetzten ehemaligen Jugendschiffs „Freibeuter“. Sie selbst wolle ja gar kein anderes Leben, sagt sie, „aber denen, die wollen, hat man nicht geholfen“.
Gegen elf holpert ein bunter Bus auf die Wiese: „Karuna Sub“, die erste Buslinie für Obdachlose. Immer mehr BewohnerInnen krabbeln aus ihren Behausungen und holen sich einen Kaffee. Der Bus fährt täglich Orte ab, die für Obdachlose wichtig sind, bringt sie von A nach B, bietet Getränke und Hilfe an.
Mit an Bord ist Sozialarbeiter Lutz Müller-Bohlen, der das Camp seit dem Winter kennt. Annis Enttäuschung kann er verstehen. „Aber es ist schwierig etwas anzubieten, es gibt ja praktisch keinen Wohnraum.“ Auch sei aufsuchende Sozialarbeit sehr langwierig, erklärt er: Viele BewohnerInnen hätten Drogenprobleme und schafften es nicht, ihre Angelegenheiten, etwa mit Ämtern, selbst zu regeln. „Da muss man erst mal viel zuhören und Anknüpfungspunkte suchen.“
Dennoch sei die Arbeit nicht erfolglos gewesen, findet der Karuna-Mann. So habe man auf der „deutschen Seite“ des Camps bis Ende April sechs Menschen helfen können, etwas zu finden – von 35, die hier im Dezember lebten. Sechs seien geblieben, die anderen weitergezogen. Von den Rumänen und Bulgaren sei ein Drittel zum orthodoxen Osterfest nach Hause gefahren, der Rest geblieben. „Seither wächst das Ganze fröhlich weiter“, sagt Müller-Bohlen mit einem wenig fröhlichen Gesicht. Er schätzt die Zahl der Bewohner derzeit auf „mindestens 100. „Das ist wohl die größte Obdachlosenansammlung Deutschlands.“
Was tun, wenn die „neuen Wege“ bei der Bekämpfung von Obdachlosigkeit gleich wieder scheitern? Die Sprecherin der Sozialverwaltung will die Frage so nicht stehen lassen. Das Modellprojekt mit Karuna sei doch erfolgreich gewesen: Die Sozialarbeiter hätten bis Ende April „in den meisten Fällen ein adäquates Angebot“ machen können.
Allerdings, fährt sie fort, zeige der neuerliche Zuzug, dass der Bedarf nach Wohnmöglichkeiten für Obdachlose jenseits von (Not-)Unterkünften wachse. Daher habe Senatorin Breitenbach im Frühjahr das Konzept der „safe places“ ins Spiel gebracht. Die Idee der „sicheren Orte“ kommt aus den USA: kommunale Stellplätze für Zelte oder Hütten mit Sanitäreinrichtungen und sozialer Betreuung. Das Konzept wird seither in Berlin diskutiert, zwei Bezirke – Friedrichshain-Kreuzberg und Reinickendorf – haben schon beschlossen, geeignete Plätze dafür zu suchen. Noch aber gibt es keine.
Dass das Rummelsburger Camp selbst zum „sicheren Ort“ ausgebaut werden könnte, scheint angesichts des im Mai vom Bezirk abgesegneten Bebauungsplans unwahrscheinlich. Immerhin: Das im Camp kursierende Gerücht, dass am 2. September geräumt werden soll, kann eine Sprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung dementieren. Der „Zeltplatz“ liege auf dem Teil des Areals, der in öffentlicher Hand bleibe, erklärt sie. „Daher bleibt es bei unserer Zusage, dass nicht geräumt wird.“ Allerdings könne es sein, dass die Firma Vattenfall, die ab September Fernwärme für das ganze Areal verlege, „mal hier und da ein Zelt verschieben will“.
*Name geändert
Gekündigt wurde dagegen dem Pächter der Fläche neben dem Camp, meldet die Initiative Padovicz WatchBlog. Betroffen seien auch Kleinstgewerbe, KünstlerInnen und die Wagengruppe „DieselA“, die im Mai einen Teil der Brache besetzt hat – aus Protest gegen die Bebauungspläne. Die Fläche gehört den Investoren Padovicz und Investa, die dort hochpreisige Wohnungen bauen wollen
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