piwik no script img

Kein Hakenkreuz zu erkennen

Für die Nationalsozialisten war sie „artfremd“, nach dem Krieg dominierte sie das westdeutsche Kunstgeschehen: Die Kunsthalle Kiel beschäftigt sich diesen Sommer mit abstrakter Kunst aus ihrer Sammlung. Und stellt den wenig bekannten Maler Rudolf Jahns vor

Von Frank Keil

Es sind zwei nicht leichtgängige Ausstellungen, mit denen in diesem Sommer die Kieler Kunsthalle ihrem Publikum begegnet – denn sie führen in die Sphäre der abstrakten Kunst, des Ungegenständlichen.

Die Ausstellung „Geometrie und Gestik: Abstrakte Kunst aus der Sammlung“ wagt dabei zunächst eine Reise in die künstlerische Frühphase der Bundesrepublik anhand von Werken aus dem eigenen Bestand, bis es langsam in die Gegenwart der 1970er- und 1980er-Jahre übergeht: Sind bei dem Werk „Jesus meine Zuversicht“ von Gerhard Hoehme noch so etwas wie Schriftzeichen vor flächigem Grund deutbar, agiert bei den Werken von K.O. Götz der reine malerische Gestus. Man kann, aber muss nichts erkennen – das ist eine Botschaft. Dass in der Freiheit des Ausdrucks auch die Freiheit der Interpretation liegt, die dazu passende andere.

Flucht vor den Nazis

Götz, bei dem Sigmar Polke, Gotthard Graubner, Franz Erhard Walther und nicht zuletzt Gerhard Richter studierten, hatte 1935 Malverbot erhalten, während Josef Albers, tätig am Bauhaus, 1933 in die USA emigrieren musste, um sich und seine jüdische Frau zu retten: Von ihm ist eine Farb-Kontrast-Studie zu sehen.

Götz, Albers, Hoehme, aber auch Alf Lechner dominierten mit ihren abstrakten Deklinationen über lange Zeit das westdeutsche Kunstgeschehen – geprägt und angefeuert auch durch die Dominanz der ungegenständlichen Kunst in den Vereinigten Staaten. „Es gab Tendenzen in der Kunst, denen man in der Zeit des Nationalsozialismus nicht folgen konnte, die die Menschen aber interessiert haben“, sagt Regina Göckede, in der Kieler Kunsthalle für die Sammlungspräsentation zuständig und Kuratorin der Ausstellung.

Und sie verweist so einerseits auf die Rückgriffe der westdeutschen Abstrakten auf später unterdrückte Vorläufer in den Weimarer Jahren wie auf das zeitgleiche Diktum, das sich mittels des Gegenständlichen auszudrücken und mitzuteilen nach der alleinigen Vorherrschaft des Gegenständlichen im Nationalsozialismus nach 1945 keine Option mehr gewesen wäre.

Der Kunsthistoriker Martin Damus hat in seinem Standardwerk „Kunst in der BRD 1945 – 1990“ die Kehrseite der Anfangsjahre mit ihrer absoluten Hinwendung zum Nichtgegenständlichen und fast schon Antinarrativen griffig so gefasst: „Der Nationalsozialismus, der Krieg und ihre Folgen haben kaum Eingang in die westdeutsche Kunst gefunden.“ Und er spricht von der „Unfähigkeit zu schreien“, bezogen auf die Künstlergeneration, die tatsächlich selbst Ausgrenzung, den damit verbundenen Schrecken, aber auch die Gefährdung ihrer eigenen künstlerischen Existenz am eigenen Leib erlebt hat; die emigrieren mussten, die nicht künstlerisch tätig sein konnten.

Abstraktion als Abwehr des Erlebten? Abstraktion als heute nicht so einfach zu verstehender Verarbeitungsversuch? Es ist jedenfalls der nächsten Generation von Künstlern und zunehmend Künstlerinnen vorbehalten, die sozusagen liegen gebliebene Arbeit offensiv und bildhaft zu erledigen und sich auch künstlerisch zu profilieren: Bei der Documenta 1968 sind die nun alten Herren des Abstrakten, des Informel und des Konstruktivismus kaum mehr vertreten.

Hitlergruß als Kunst

Ein Jahr später reist Anselm Kiefer durch Italien und Frankreich, stellt sich auf wichtige Plätze – und zeigt den so genannten Hitlergruß als künstlerische Aktion. Und noch ein anderes, übrigens auch abstrakt zu nennendes Werk ist einem plötzlich sehr gegenwärtig, vielleicht weniger von dem, was es zeigt, als wie es von Martin Kippenberger betitelt wurde: „Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz erkennen“.

Ist der Blick in den Kieler Bestand abstrakter Kunst zugegeben ein wenig spröde, ein wenig verklausuliert auch und nicht ganz so einfach zu entschlüsseln, ist die zweite, kleinere Ausstellung mit dem Titel „Intuition“ dagegen bekömmlicher. Denn sie konzentriert sich auf einen einzelnen Künstler, ebenfalls aus der Sphäre des wenig Gegenständlichen bis Abstrakten. Und so stoßen wir im oberen Teil der Wechselausstellungshalle, in den beiden Kabinetten und auf der Galerie, auf Auszüge aus dem Schaffen von Rudolf Jahns, der dem allgemeinen Kunstpublikum heute weitgehend unbekannt sein dürfte.

Dabei erzählt sein Werk, aber auch sein Lebenslauf die spannende Geschichte einerseits eines Außenseiters, der sich andererseits immer wieder in die Strömungen der abstrakten Kunst einzuklinken verstand.

Geboren wird Jahns 1896 in Wolfenbüttel, er interessiert sich schon als Schüler für zeitgenössische Musik und bildende Kunst und kann sich solch eine berufliche Ausrichtung vorstellen. Allein der Erste Weltkrieg kommt dazwischen: Nach dem Abitur 1915 wird Jahns als Sanitäter eingesetzt. Auch wenn er, soweit man weiß, nicht direkt an die Front kommt, so muss ihn das, was er zu sehen bekommt und was er erlebt, dennoch so nachhaltig verstört haben, dass er sich nach Kriegsende von seinen Plänen, Architektur oder Kunst zu studieren, resolut verabschiedet. Er wird stattdessen Zoll- und Finanzbeamter in Holzminden; später wird er eine Familie gründen.

Zugleich verlässt er die Kunst nicht und entscheidet sich früh für deren ungegenständliche Sphäre. Eine Art Erweckungserlebnis hat er, als er 1919 das Streichkonzert „Der Tod und das Mädchen“ von Franz Schubert hört: Noch am selben Abend – so wird es erzählt – setzt er sich hin und malt sein erstes abstraktes Bild.

So malt, zeichnet, experimentiert er mit verschiedenen Materialien und Techniken nun eben nach Feierabend und am Wochenende – durchaus mit Erfolg, auch wenn ihm das Netzwerk, das man mit und nach einem akademischen Studium aufbaut, weitgehend fehlt. Er hat zwischenzeitlich Kontakte zur Künstlergruppe „Der Sturm“, lässt sich von Paul Klee und Wassily Kandinsky inspirieren.

Kein Geringerer als Kurt Schwitters aus dem benachbarten Hannover wird auf ihn aufmerksam, besucht ihn 1927 – und lädt ihn ein, Mitglied einer neuen Künstlergruppe zu werden, deren Mitglieder sich wie er und wie Jahns der Welt der Abstraktion verpflichtet fühlen: „die abstrakten hannover“; bewusst wählt man in Anlehnung an die typografischen Standards wie Postulate des Bauhauses die Kleinschreibweise.

Zarte Wiederentdeckung

Es ist keine kulturpolitisch intendierte Gruppe, man verfasst keine wuchtigen Manifeste. Eher handelt es sich um ein klassisches Netzwerk: Man unterstützt sich bei der Suche nach Ausstellungsmöglichkeiten, gründet einen Stifterkreis, um einen langfristigen Kundenstamm aufzubauen und zu halten. Als das Jahr 1933 anbricht, wartet man nicht darauf, von den neuen Machthabern als Gruppe aufgelöst zu werden, sondern übernimmt das selbst.

Jahns ist da schon nicht mehr dabei: „Ihn hat zum einen die politische Situation geängstigt, ihm war aber auch die Ausrichtung der Gruppe allein auf die Kunst des Konstruktivismus auf Dauer zu starr“, sagt Muriel Mayer, Kuratorin der Ausstellung sowie derzeit Stipendiatin der Rudolf-Jahns-Stiftung.

Jahns wenige Bilder, die es in öffentliche Sammlungen geschafft haben, werden seinerzeit sofort, weil der „entarteten“ Kunst zugeschrieben, entfernt. Jahns übersteht die nächsten zwölf Jahre, beginnt nach 1945 wieder zu malen, erprobt sich in eher naturalistischen Landschaftsbildnissen, bis er nach und nach an seine früheren und frühen Arbeiten anschließt; erst recht nach seiner Pensionierung 1957.

In den 1970er-Jahren erlebt Jahns dann noch eine Art zarte Wiederentdeckung. Er reagiert darauf 1976 mit einer Wiederaufnahme grafischer Arbeiten aus dem Jahr 1928, doch diesmal per Siebdruck und als Mappen-Werk angelegt: Miniaturen aus Linien, Kreisen und Balken, die uns heute in ihrer konkretisierenden Anmutung an wiederum frühe Computergrafik erinnern.

bis 1. 9., Kunsthalle Kiel

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen