„Die Schwarze Soldatenfliege gilt als Superstar in der Szene“

Insekten essen ist eklig? Für viele Menschen aus dem Westen schon. Rational erklärbar ist das aber nicht, sagt der Insektenforscher Meyer-Rochow. Einer seiner Lieblingssnacks: rohe Larven von Mistkäfern

Foto: privat

Victor Benno Meyer-Rochow 74, ist Biologe und Ethnologe aus Neuseeland. Als Forscher und Professor war er bereits in vielen Teilen der Welt tätig, darunter Deutschland, Japan, Jamaika und Nordkorea. Aktuell hält er eine Professur für Entomologie an der Andong University in Süd­korea inne und ist Dozent an der Universität Oulu in Finnland.

Interview Andrew Müller

taz am wochenende: Herr Meyer-Rochow, Sie haben bereits 1974 gesagt, dass man mit Insekten die Welternährungsproblematik zumindest lindern könnte. Wie haben die Leute damals reagiert?

Victor Benno Meyer-Rochow: Man machte Witze über mich.

Und heute?

Es dauerte eine Weile, bis die Idee wahrgenommen und für gut befunden wurde. Es gab aber auch Leute, die sie ernst nahmen. Mit der Zeit wurde die Gruppe der Unterstützer immer größer. Es fanden erste Konferenzen zu alternativen Nahrungsquellen statt, in denen es immer mehr auch um Insekten ging. Seit ein paar Jahren ist fast jeden Monat irgendwo auf der Welt eine Entomophagie-Konferenz – es ist echt eine große Sache geworden.

Warum ist das Thema so explodiert?

Vielleicht, weil die globalen Probleme immer drängender werden und man nach Lösungen sucht. Insekten sind eine gute Alternative, sie enthalten neben Proteinen auch hochwertige Fette, Mineralien und andere Nährstoffe. Sie müssten aber wohl so verarbeitet werden, dass man sie nicht mehr erkennt, damit die Leute sie akzeptieren.

Warum ekeln sich eigentlich so viele davor, Insekten zu essen?

Zum einen wurden Insekten im Mittelalter verstärkt als Krankheitserreger erkannt und undifferenziert mit Verschmutzung assoziiert. Hinzu kommt die Christianisierung, die mit einer bewussten Veränderung der Nahrungsregeln einherging. Im Alten Testament sind explizit alle Insekten als Nahrung verboten – außer vier Arten von Heuschrecken, die in Europa aber kaum vorkommen. Und ganz allgemein spielt auch die Urbanisierung eine Rolle: Insekten wurden aus der unmittelbaren Umwelt und dem Sichtfeld der Menschen verdrängt und zunehmend als unheimliche Quälgeister wahrgenommen. Sie zu essen galt zunehmend als unzivilisiert. Von Ausnahmen wie Thailand abgesehen, ist ihr Verzehr heute überall auf der Welt weiter rückläufig. Letztlich gibt es aber keine klare Antwort auf die Frage, woher der Ekel kommt. Er hat sicher verschiedene Ursachen und ist nicht in unserer Natur festgeschrieben.

Und auch nicht rational zu erklären?

Genau. In einer Studie haben wir Leuten mit zugehaltener Nase und verbundenen Augen verschiedene Dinge zu essen gegeben, unter anderem Insekten. Einer Frau wurde fast schlecht, als sie Käse im Mund hatte, weil sie dachte, es sei ein Wurm. Andere, die überzeugt waren, dass sie Insekten nicht mögen, fanden die sogenannten „bamboo worms“, Raupen eines Nachtfalters, sehr gut. Man kann da also nicht verallgemeinern, jeder reagiert anders.

Im Westen denken viele, dass niemand freiwillig Insekten essen würde.

Nun, ich tue es. Aber es gibt natürlich Fälle, in denen Insekten aus Not heraus gegessen werden. Das aber für allgemeingültig zu halten ist falsch. In vielen Weltregio­nen sind Insekten sogar teurer als sogenanntes normales Fleisch, die Leute essen sie sehr gern. Aber auch nicht wahllos – manche Arten sind ungenießbar oder giftig, andere mittelmäßig beliebt und wieder andere totale Delikatessen.

Die verschiedenen Insekten muss man ja überhaupt erst mal unterscheiden können. Und viele der zumeist wild gesammelten Arten sind nur in bestimmten Regio­nen und Jahreszeiten verfügbar.

Ja, und dieses traditionelle Wissen stirbt gerade aus, auch die Fang- und Zubereitungsmethoden. Die FAO, also die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, und immer mehr Forscher haben das erkannt und versuchen gegenzusteuern. Aber immer häufiger bekommt man von jungen Leuten aus Regio­nen mit Insektenesskultur zu hören, dass sie Insekten eklig finden, weil sie modern sein wollen.

Ist das eine Folge des Kolonialismus?

Ganz sicher haben da westliche Missionare ihren Anteil dran. Aber auch Neokolonialismus spielt eine Rolle. Große Restaurantketten und Konzerne haben weltweit viel Macht und machen Werbung für Fast Food. Vor allem junge Leute fühlen sich durch solchen als modern wahrgenommenen Konsum mehr akzeptiert in der Welt und wenden sich von der eigenen traditionellen Nahrung ab. Dabei sollten sie stolz darauf sein, denn sie ist oft gesünder, bodenständiger und nachhaltiger. Ich finde es auch aus kulturellen und ökologischen Gründen sehr wichtig, die Tradition des Insektenverzehrs zu unterstützen.

Plädieren Sie dafür, auch den Menschen in westlichen Ländern Insekten schmackhaft zu machen?

Ich habe nichts dagegen, es zu versuchen, aber Leute groß überreden zu wollen wird schwierig sein. Es ist fraglich, ob es zu einer bleibenden Veränderung führt, wenn Menschen einfach nur neugierig sind und mal eine Heuschrecke probieren wollen. Andererseits: Wenn es den Leuten schmeckt, bleiben manche vielleicht dabei. Das wird sich noch zeigen.

Momentan wächst der Markt aber vor allem für Insekten als Futtermittel.

Ja, das ist auffällig. Letztes Jahr war ich bei der zweiten internatio­nalen Konferenz zu Insekten als Nahrung und Futtermittel, und 40 Prozent aller Vorträge drehten sich allein um eine einzige Fliegenart. Die sogenannte Schwarze Soldatenfliege gilt als Superstar in der Szene. Ihre Larven fressen alles Mögliche an organischem Abfall und können an Nutztiere wie Hühner und Fische verfüttert werden.

Da ist der Markt schon vorhanden.

Genau, der Futtermittelsektor ist riesig, und da muss man niemanden erst überreden, Insekten zu essen. Das ist momentan viel interessanter für Unternehmer. Man kann damit viel Geld verdienen.

Sie haben viele Insekten selbst probiert. Welche schmecken Ihnen am besten?

Termiten und Wespenlarven mag ich sehr gerne und Inago …

… Inago?

Das sind japanische Grashüpfer. Auch wenn es unmöglich klingt, aber rohe Larven von Mist- und Bockkäfern schmecken mir. Wasser- und Stinkwanzen finde ich nicht so toll, Libellenlarven und Maulwurfsgrillen sind auch nicht so mein Ding.