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Kein Urteil wegen Menschenhandels

Bremer Landgericht begründet Freispruch mit Zweifeln an der Glaubwürdigkeit der Zeugin

Von Eiken Bruhn

Freigesprochen wurde am Mittwoch ein 36-jähriger Nigerianer, der in Bremen wegen des Verdachts auf Zwangsprostiution und Vergewaltigung vor Gericht stand (taz berichtete). Es stehe Aussage gegen Aussage, sagte die Vorsitzende Richterin am Landgericht, Maike Wilkens. Das Opfer, die Nigerianerin Lydia Z.*, habe zwar am ersten von vier Verhanslungstagen über Stunden „sehr detailliert“ ausgesagt, sagte Wilkens, „wenn ich ihre Aussage isoliert betrachte, habe ich den Eindruck, es könnte genau so gewesen sein“, aber es gebe keine objektivierbaren Beweismittel, die ihre Vorwürfe belegen könnten.

Den Freispruch begründete das Gericht mit Zweifeln an der Glaubwürdigkeit des Opfers. In zwei Punkten hat Lydia Z. nach Auffassung des Gerichts gelogen. Dabei geht es um die Beziehung zur Ehefrau des Angeklagten. Lydia Z. hatte ausgesagt, diese kaum zu kennen. Ein Foto der beiden beweise, dass dies nicht stimme, so das Gericht. Zudem sei die Nummer des Angeklagten unter der seiner Frau auf dem Handy von Lydia Z. gespeichert gewesen.

Die Glaubwürdigkeit ihrer gesamten Aussage sieht das Gericht auch durch ihre Angaben zu ihrem Partner infrage gestellt. Lydia Z. hatte gesagt, sie habe diesen erst durch den Angeklagten Kelvin I. kennengelernt – als dessen zweiten Untermieter in seiner Wohnung.

Nach Überzeugung des Gerichts kannten sich die beiden schon vorher – so wie es auch der Angeklagte dargestellt hatte. Nach seinen Angaben gehören die Zwangsprostitutions-Vorwürfe zu einem Komplott von Lydia Z. und ihrem Partner. Diese sollen Anfang 2017 gemeinsam mit der Ehefrau von Kelvin I. versucht haben, dem Partner von Lydia Z. über eine Vaterschaftsanerkennung eine Aufenthaltserlaubnis zu beschaffen. Das verhinderte Kelvin I. mit einem DNA-Test, der belegte, dass er der Vater ist.

Das Gericht hielt es für erwiesen, dass hierin das Motiv für Lydia Z.s Falschaussage darüber liegt, Kelvin I. habe sie vergewaltigt und zwischen 2015 und 2017 zur Prostitution gezwungen. Wegen des Streits um die Vaterschaftsanerkennung warf Kelvin I. im April 2017 Lydia Z. aus seiner Wohnung. „Nach diesem Rauswurf stand sie auf der Straße, vielleicht wusste sie, dass ihr als Opfer von Menschenhandel geholfen wird“, vermutete die Vorsitzende Richterin.

Für Prozessbeobachter*innen blieb am Ende die Frage offen, wie plausibel es ist, dass sich jemand ad hoc entscheidet, eine komplexe Lügengeschichte zu erfinden und dann zwei Jahre dabei zu bleiben – bis hin zu einem Gerichtsverfahren mit geringen Aussichten auf Erfolg. Nach einer Auswertung des kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsens wurden von 798 des Menschenhandels Tatverdächtigen zwischen 2009 bis 2013 nur 130 Täter*innen verurteilt. Die Glaubwürdigkeit der mutmaßlichen Opfer gilt als ausschlaggebend.

*Name von der Redaktion geändert

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