: Fußball spielengegen das Patriarchat
Sie kommen aus Armenien, Kenia und vielen anderen Ländern nach Berlin. Bis 4. August findet im Willy-Kressmann-Stadion das Frauenfußball-Festival „Discover Football“ statt
Von Tigran Petrosyan
Spielt eine Frau Fußball, kann sie keine Kinder mehr zur Welt bringen, weil sie vermännlicht und ihr Körper deformiert ist.“ Mit diesen schwachsinnigen Ideen will Lorik Harutjunjan in ihrem Land aufräumen. Seit einer Woche ist die Armenierin mit ihrem Fußballteam in Berlin. Vom 30. Juli bis 4. August findet dort im Willy-Kressmann-Stadion das zehnte internationale Frauenfußball-Festival „Discover Football“ statt.
Die Armenierinnen sind zum ersten Mal dabei. Etwa 100 Spielerinnen und TrainerInnen – unter anderem aus dem Iran, Serbien, Argentinien, Bolivien, Nepal und Kenia, nehmen an dem Frauenfußball-Festival teil. Damit nicht ein Land gegen ein anderes antritt, wurden die Nationalmannschaften gemischt und daraus acht Teams gebildet.
Aber hier wird nicht nur Fußball gespielt. Ein Kulturprogramm mit Open-Air-Kino und vielen Workshops gehört mit dazu. Aber vor allem geht es darum, verschiedene Kulturen, Traditionen und Mentalitäten zusammenzubringen. Fast jede Fußballspielerin hat einen schwierigen Weg hinter sich, jede Frau eine persönliche Geschichte zu erzählen. Von Erfolg, aber auch von ihrem Kampf gegen Misstrauen.
So geht es auch Lorik Harutjunjan. Die 28-Jährige ist im Iran geboren. Seit sechs Jahren lebt sie in der armenischen Hauptstadt Jerewan. „Wir haben immer in unserer Familie darüber gesprochen, dass wir Iran irgendwann verlassen werden“, sagt sie. Als Frau fühle sie sich in Armenien freier, aber das gehe auch nicht so weit, dass sie problemlos Fußball spielen könne. Die gesellschaftlichen Strukturen seien von Männern dominiert. Dagegen will sie kämpfen, und sie ist damit nicht allein.
2016 gründete sie die Organisation „Girls of Armenia Leadership Soccer – GOALS“. „Wir schaffen Räume, wo die Frauen ihre Meinungen äußern und die patriarchalen sozialen Normen in Frage stellen. Wir wollen das traditionelle Bild in Armenien abschaffen, wonach Frauen zu Hause sitzen, die Hausarbeit machen und Kinder erziehen.“ Aber ihre Ziele gehen noch weiter: „Durch den Fußball wollen wir unsere Mädchen unterstützen und ermutigen, um einmal Führungspositionen zu übernehmen.“
Nach der Revolution in Armenien 2018 hat sich die Situation auch für den Frauenfußball verändert, meint Harutjunjan. Sie habe mit den Behörden immer um einen Fußballplatz gekämpft. Heute kooperiere sie sogar mit der Fußballföderation. Dort wurde vor Kurzem eine Frauenabteilung gegründet.
Auch Monika Staab ist wegen des Frauenfußball-Festivals nach Berlin gekommen. Die Fußballtrainerin fungiert hier als Coach. Sie war bereits in 80 Ländern tätig. „Ich will jetzt etwas von dem zurückgeben, wofür ich jahrelang in Deutschland gekämpft habe. Ich will den Frauenfußball aktivieren“, sagt sie. Die Mitgründerin und ehemalige Chefin des „1. Frauen-Fußball-Clubs Frankfurt“ (1. FFC Frankfurt) schult unter anderem junge Sportlerinnen in Gambia. „Ich will auch die soziale Situation der Frauen ändern, weil sie immer noch diskriminiert sind. Gerade in Afrika können nicht alle Mädchen in die Schule gehen. Sie haben kulturelle Barrieren.“ Soziale Werte sollen gestärkt werden, das heißt vor allem Integration, Kommunikation, Teamfähigkeit, Respekt und Fair Play. „Wenn wir zusammenhalten, können wir viel erreichen“, sagt Staab.
Gerald Hayo ist Torwartin ihres Teams und angespannt, weil sie gleich auf den Platz muss. Die 30-Jährige kommt aus Kenia und ist Mitglied von „Rainbow Women of Kenya“, ein lesbisches, bisexuelles und queeres Frauenfußballteam. Homosexualität ist in Kenia illegal. Nach heftigen Diskussionen hat das Oberste Gericht in Ende Mai 2019 die Strafbarkeit von Homosexualität bestätigt. Laut den noch aus der Kolonialzeit stammenden Paragrafen werden homosexuelle Handlungen mit bis zu 14 Jahren Haft bestraft.
Hayo gehört zu den wenigen Aktivistinnen, die sich geoutet haben und noch am Leben sind. Sie wurde ständig bedroht und geschlagen. „Die Täter waren einfache Männer, die mich auf der Straße verprügelt haben“, sagt sie. Sie sehe sich zuallererst als Fußballspielerin, wobei ihre sexuelle Orientierung im Hintergrund bleibe. Ihre Landsleute dagegen betrachten sie vor allem als Lesbe. „Dieses Treffen mit Frauenmannschaften wäre in Kenia gefährlich. Deswegen freue ich mich, hier zu sein“, sagt sie.
Sie will mit neuen Ideen nach Hause zurückkehren. Und was wird mit den Frauen zu Hause passieren? „Was mit uns passieren kann, weiß nur Gott“, sagt sie und läuft zum Platz. Das Spiel beginnt gerade.
„Funga bao!“, schreit ein Mann während des Spiels von der ersten Reihe der Tribüne. „Auf Suaheli heißt das ‚Schieß ein Tor!‘, erklärt Jusuf Muhamed. Er ist einer der wenigen Männer im Stadion. Der 32-Jährige kommt aus Mombasa, der zweitgrößten Stadt Kenias.
Seit zehn Jahren wohnt Jusuf Muhamed in Berlin. Heute hat er seine zehnjährige Tochter und seiner Nichte mitgebracht. „Keiner unterstützt die Mädchen in Afrika. In Deutschland gibt es jedoch viele Möglichkeiten für Frauen, Fußball zu spielen. Ich möchte meiner Tochter diese Traditionen nahebringen, solange sie noch klein ist“, sagt er. „Deswegen sind wir hier.“
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