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Träume und Insektensalat

Wie klingt eine Erde ohne Menschen? Wie können Tiere besser mit Städtern zusammenleben? In der Floating University wird an Zukunftsfragen gearbeitet

Auf Stelzen stehen die Gebäude der Floating University in einem Regenwasserbecken Foto: Victoria Tomaschko, Floating University

Von Annina Bachmeier

Im Hauptgang geröstete Grillen, Mehlwürmer, Buffalowürmer und Heuschrecken auf einem Salatbett mit Zucchini und Ziegenkäse, mariniert mit Zitrone, und als Dessert die Larven von Bienendrohnen in Kokosöl, Soja-Soße und Stadtbienenhonig auf Honigmelone. Dieses Menü wurde von der Insektenköchin Nicole Sartirani für die Eröffnung des „Climate Care“-Programms an der Floating University in Kreuzberg kreiert. Alles ist in kleinen Pappschachteln und Dessertbecherchen auf einem Tisch angerichtet.

Die Insekten fallen zwischen Salatblättern und Honigmelonenstücken kaum auf, wenn man ein anfängliches Ekelgefühl überwunden hat, schmeckt man auch nicht besonders viel von ihnen, höchstens manchmal ein leichtes Knirschen und ein nussiges Aroma im Abgang, erzählt ein Besucher erstaunt.

Insekten, erklärt Sartirani, könnten in naher Zukunft eine nachhaltigere Proteinquelle darstellen, schon kleine Mengen enthalten viel mehr Protein als herkömmliches Tierfleisch, außerdem verbrauchen Insekten in der Haltung natürlich viel weniger Emissionen als Rinder oder Schweine – Mehlwürmer könnten zum Beispiel ganz einfach auch zu Hause angebaut werden.

Die Floating University gibt es seit 2018, die Gebäude stehen auf Stelzen in einem Regenwasserrückhaltebecken zwischen Hasenheide und Tempelhofer Feld, der Eingang liegt unauffällig zwischen Bäumen und hohen Zäunen am Straßenrand. Wenn man ihn gefunden hat, steht man plötzlich auf einer Wendeltreppe und fühlt sich wie in den Traum von einer postkapitalistisch-ökologischen Zukunftsutopie versetzt: man blickt auf mehrstöckige, aus Gerüsten, Holz und Planen gebaute Gebäude auf dem Wasser, die über Holzstege miteinander verbunden sind. Zwischen den Stockwerken und an den Stegen wachsen in Kästen Kapuzinerkresse, Sonnenblumen und Kräuter. Menschen in Gummistiefeln wandern zwischen Algen und Schilf durch das flache Regenwasserrückhaltebecken, alles ist umgeben von einem kleinen Wald.

Das man sich mitten in der Stadt befindet, bemerkt man nur an den Türmen des Tempelhofer Flughafens, die im Hintergrund über den Bäumen aufragen.

Die Floating University gibt seit ihrer Entstehung im letzten Jahr verschiedenen Projekten, die sich künstlerisch, architektonisch oder kulturell hauptsächlich mit Stadtplanung und alternativen Lebensformen in Städten auseinandersetzen, eine Plattform. Im letzten Jahr fand hier mit dem Raumlabor ein Projekt für „Visionen urbaner Praxis“ statt, in diesem Jahr ist es Climate Care.

Das Programm wird kuratiert von der Architektin Rosario Talevi und der Künstlerin Gilly Karjevsky und hat sich als Zweig aus dem Projekt „Formats of Care“ entwickelt, das an der Kunstakademie in Wien und der Universität der Künste in Berlin stattfindet und an dem Talevi und Karjevsky ebenfalls beteiligt sind.

Die Macherinnen wollen mit dem Stichwort „Care“, Fürsorge, weg von der Krisenrhetorik

Im Kontext von „Climate Care“ wollen die Macherinnen sich mit dem Stichwort „Care“, also zu Deutsch Fürsorge, weg orientieren von der Krisenrhetorik, die die Klimadebatte momentan bestimmt, um stattdessen Lösungsansätze zu suchen, mit denen sich das Leben in Städten nachhaltiger und klimafreundlicher gestalten lässt, erzählen sie. Das Insektenmenü war dabei nur der erste von vielen Programmpunkten, aus denen zum Schluss des Projekts Lehrpläne entstehen sollen, die sich vor allem daran orientieren, wie konkret mit dem Klimawandel in der Stadt umgegangen werden kann. So gibt es zum Beispiel das Programm „Animalesque“, das von den Architekten Ana Zatezalo Schenk und Jorge Godoy entwickelt wurde.

„Animalesque“ wird während „Climate Care“ jeden Tag Schulungen anbieten, in denen es um „animalische Utopien“ gehen soll, was „Verdichtung und Verlust von Naturraum“ in Städten für Tiere bedeutet und wie man das Zusammenleben von Tieren und Menschen besser gestalten könnte. Bei der Eröffnung von „Climate Care“ erzählt Ana Zatezalo Schenk, dass „Animalesque“ ein gigantisches Vogelnest in das Regenauffangbecken bauen will, um mehr über das Leben von Vögeln zu erfahren, auch soll ein Bienenvolk auf dem Gelände der Floating University ansiedelt werden.

Am Eröffnungsabend sind alle kleinen Stege voller Menschen, die Salat mit Insekten essen oder Bier aus biologischem Anbau trinken, von einer krisenhaften Stimmung ist nichts zu spüren. Nachmittags gab es eine Lesung aus dem Text des Anwalts und Klimarechtsaktivisten Christopher D. Stone „Should Trees Have Standing? Law, Morality, and the Environment“, später am Abend wird mit der Klanginstallation „Glacier Soundscapes“ durch Geräusche aus der Antarktis gezeigt, wie sich eine Erde ohne Menschen anhören könnte.

Wenn man die Floating University verlässt, ist man gleich wieder mitten in Kreuzberg, alles ist voller Autos, am Südstern wirbt McDonald’s mit einem riesigen Plakat für seinen neuen veganen Burger und „Climate Care“ rückt wieder an die Stelle eines schönen Traums von einer postkapitalistischen Utopie.

„Climate Care“, tägl. ab 14 Uhr, bis 10. August

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