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Zum Abschied sagt man laut: Aufbruch

Zum Schluss Shakespeare: Das Jahrmarkttheater gibt die letzte Vorstellung, bevor es vom 45-Seelen-Dorf Wettenbostel nach Bostelwiebeck zieht. Die Anwohner dort sind skeptisch

Von Jens Fischer

Zum zwölften und letzten Mal bespielt das Jahrmarkttheater den Hof der Ergotherapeutin Maria Krewet im 45-Seelen-Dorf Wettenbostel, Landkreis Uelzen. Das Zeremonienmeisterpaar Thomas Matschoß (Autor und Regisseur) und Anja Imig (Ausstattung und Produktion) hat ihren Mut, sich politisch zu positionieren, erfrischend übermütig zu einem Diskurs über die Ästhetik ihrer Bühnenkunst collagiert.

Mit „Was ihr wollt“ des elisabethanischen Dramen-Heros begann 2008 die Open-Air-Spektakelei, mit „Shakespeares letzte Worte“ endet sie nun. Gesucht würden neue Herausforderungen, erklärt Imig. Im Laufe der Jahre seien die Ansprüche an den Sommerabendzauber gewachsen. Die Produktionen wurden aufwendiger und teurer, die Geldakquisen schwieriger. Gleichzeitig schwand die Inspirationskraft der Spielmöglichkeiten zwischen Reithalle, Pferdekoppeln, Ställen und Weiher. Im nächsten Jahr sollen daher nicht mehr allabendlich 250 Gäste bewirtet, bespaßt und mit lebensklugen Sentenzen bezirzt werden, vielmehr würden interaktive Formate für kleinere Besuchergruppen entwickelt. Wo? Auf dem 12.000 Quadratmeter großen Hof von Matschoß und Imig.

Das Paar hatte 2005 Hamburgs Hektik gegen die Ruhe der Heide eingetauscht. Ihre Heimat ist seither zusammen mit vier Dutzend weiteren Menschen: Bostelwiebeck. Dort bauten sich Imigs Eltern einen Schweinestall als Altersruhesitz aus, als Lager dient ein Pferdestall, der Kuhstall ist Probebühne und Aufführungsort für die Wintersaison. Der Fundus befindet sich auf dem Heuboden, im Bauernhaus leben Schauspieler und Techniker während der Arbeitsphasen. Durchs Unterholz schleichen Katzen.

Ruhestörung oder kulturelle Belebung

Noch sind die Anwohner des neuen Freilufttheater-Areals skeptisch, wie es einst auch die Wettenbosteler waren: Das Ende der dörflichen Ruhe wird befürchtet. Am bisherigen Gastspielort lautet allerdings das Resümee: In zwölf Jahren waren annähernd 50.000 Menschen bei 255 Vorstellungen von 17 Produktionen zu Gast, aber nicht von Störungen der Privatsphären geht die Rede, sondern von der kulturellen Belebung einer Schwundregion in der äußersten Schwarte des Hamburger Metropolregion-Speckgürtels.

Zur Abschiedsinszenierung taucht das Publikum dem Am­biente zuliebe schon eine Stunde vor Aufführungsbeginn mit lukullischen Tascheninhalten auf. Platziert sich auf schattigen Rasenzonen und knabbert Käsewürfel oder Rosmarin-Meersalz-Vollkorn-Snacks. Aus Plastikbechern nippen Picknicker auf ideale acht Grad heruntergekühlten Sauvignon Blanc. Für die Proviantlosen bettet ein Caterer seine Bratwürste in Currysoße, bietet aber auch Garnelen schnöselig teuer an. Jeder Besucher bekommt mit der Eintrittskarte einen Klappstuhl, mit dem von Spielort zu Spielort zu wandern ist.

„Shakespeares letzte Worte“ starten mit solchen aus dem Jahr 1600. Zum Thespiskarren umgewidmet ist ein Treckeranhänger, auf dem die anrührend wahre Theaterbegeisterung der Handwerker aus dem „Sommernachtstraum“ verulkt wird. Das Ensemble bietet ihre Pyramus-und-Thisbe-Show als derb-dilettantischen Bauernschwank dar – konterkariert mit Eitelkeiten und Unsicherheiten echter Schauspieler. Die bald erkennen: „Das macht keinen Sinn.“ Fortan geht es um die Suche nach der perfekten Komödie, in der sich Ausbrüche von Angst und Heiterkeit abwechseln. Widersprüchliche Ideen dazu breitet die Spielerschar aus, probiert und diskutiert sie. Die Besucher wohnen so der künstlerischen Selbstdefinition des Jahrmarkttheaters bei. Also der Frage wie man mit theatralen Lustbarkeiten immer wieder zu aktuellen Fragen durchbrechen und trotzdem ein auf laue Abende erpichtes Publikum unterhalten kann. Und wie die Maskeraden vor allem Erkundung sein können, was ein Schauspiel leisten kann, leisten soll.

Das programmatisch disparate Ensemble – Rampensäue, Schauspielschülerin, Musical-Frauen, Performerin – stellt sich mit Fake-Biografien vor und bewirbt entsprechend unterschiedliche Träume vom Theater. Für Antonio muss es nah am Puls der Zeit „ein Ort der politischen Meinungsschärfung“ sein, Richard will große Gefühle aus den geheimen Kammern der Seele emporwirbeln, Helena würde mit ihren Auftritten gern reich und berühmt werden. Die mit Tiefengrund metaphorisch gestalteten Figurenkonstellationen und -konflikte der Shakespeare-Stücke, ihre mit poetischer Rhetorik durchwirkten Monologe und weltweisen Dialoge bieten unwiderstehliche Voraussetzungen für all die Themen.

Frei vom Zwang zu subtiler Andeutung nutzt Matschoß das fidele Treiben, plakative Szenen gegen Xenophobie und Rechtspopulismus einzuschieben. Zu Gruselrocksound spukten eben noch Gespenster herum, schon wird eine Rede des AfD-Höcke im O-Ton vorgetragen. „Die Deutschen“, so heißt es, sollen den übers Mittelmeer Flüchtenden kein Schaf, sondern Wolf sein. Daraufhin schießt der Höcke-Darsteller auf einen Kollegen, der den nahen Teich durchrudert. Dass sich auch hinter Mauern einer Festung Europa niemand sicher vor Fremden fühlen werde, sondern immer gefangen in den eigenen Ängsten sei, lautet die spöttische Argumentation.

Die Möglichkeiten der Jahrmarktkunst

Erst als eine Wasserfontäne gegen die Schwerkraft triumphiert und ein chinesischer Neujahrsdrache auftaucht, frohlockt das Publikum wieder: „Jetzt ist es endlich lustig.“ Matschoß kontert mit absurdem Theater, zitiert clownesk die metaphysische Verlorenheit aus Becketts „Warten auf Godot“ und choreografiert aus Brechts „Arturo Ui“ den Satz vom immer noch fruchtbaren Schoß des Faschismus – balancierend zwischen inhaltlichem Ernst und formaler Tanztheaterparodie.

Dramaturgisch tritt der bunte Szenenreigen auf der Stelle – zelebriert kaum Handlung, sondern beleuchtet multiperspektivisch die Ansprüche und Möglichkeiten der Jahrmarktbühnenkunst. Schließlich verbünden sich Publikum und Ensemble gegen den auftauchenden Mephisto. Ein Happy End als naive Wunscherfüllung – fürs Gefühl, wenigstens im Theaterkontext nicht allein zu sein mit existenziellen Nöten. So changiert der Abend zwischen schweren Inhaltsbrocken und leicht verdaulichem Jux. Der unbedingte Wille zur Komödie, ihre Direktheit, lassen das Sujet fassbar werden. Um schließlich davon Abschied zu nehmen. „Das können wir doch anders machen“, lautet die finale Losung zum Aufbruch. Zur Neuerfindung des Jahrmarkttheaters im heimischen Garten.

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