Wie aus dem Rasen gewachsen

Jeden Sommer entsteht der temporäre Pavillon der Serpentine Gallery im Londoner Hyde Park, diesmal wurde er vom japanischen Architekten Junya Ishigami entworfen

60 Tonnen Stein, handverlegt: Junya Ishigamis Pavillon Foto: Anna Watson/camera press/laif

Von Daniel Zylbersztajn

Ein graues, leicht gewölbtes Schieferdach findet sich seit neuestem inmitten Londons riesigem Hyde Park und wirkt so, als stünde es dort seit Langem. Gerade in England wurden Mitte des 19. Jahrhunderts viele Dächer aus Schiefer hergestellt. Unter dem zu den Seiten hin offenen Dach befindet sich eine kleine Cafébar, neben der sich gerade eine kleine Gruppe von Müttern mit Kleinkindern niedergelassen hat. Das Dach spendet ihnen an diesem heißen Sommernachmittag eine willkommene schattige Rast.

Bei dem Dach handelt es sich um den diesjährigen Pavillon der hier im Park ansässigen Serpentine Gallery. Das 541 Quadratmeter umfassende, frei zugängliche Konstrukt aus insgesamt 60 Tonnen handverlegten Schiefersteinen, die aus dem nordwestenglischen Kumbrien kommen, liegt auf einem leichten Metallnetz auf und wird von 106 dünnen weißen Metallstäben getragen.

Es ist inzwischen der 19. Pavillon dieser Art. In den Vorjahren bauten Größen wie Zaha Hadid, Daniel Libeskind, Oscar Niemeyer, Ai Weiwei und Francis Kéré den Sommerpavillon. Dieses Jahr war damit der japanische Künstler und Architekt Junya Ishigami beauftragt. Der Gewinner des Goldenen Löwen bei der Biennale für Architektur in Venedig 2010, mit akademischen Rollen in Harvard und Columbia, will hier, wie er sagt, „mit dem natürlichen Umfeld spielen, um ein Gefühl zu vermitteln, als sei der Pavillon wie ein aus Steinen gemachter Hügel aus dem Rasen gewachsen“.

Man könnte freilich auch nur den Schutt eines Steinbruchs oder einer Baustelle im Park sehen. Wie „natürlich“ das steinerne Zeltdach aus drei Lagen Schiefersteinen tatsächlich der Landschaft entwächst, hängt also entscheidend von der Per­spek­tive ab, zumal der Hyde Park selber ja ein von Menschen geschaffenes Umfeld ist. Während von einigen Seiten ein gradliniger Übergang zum englisch kurz geschorenen Rasen besteht, wirken die vielen Stützen unter dem Dach im Vergleich zum Naturstein des Schiefers eher künstlich. Ishigami behauptet, dass das Konstrukt „so leicht erscheine, als könnte es von einer Böe weggeblasen werden wie ein liegendes Stück Stoff“.

Obwohl metaphorisch gemeint, könnte praktisch genau das passieren, weshalb zwischen den Stützen durchsichtige Absicherungen und Windbrecher im Betonboden verankert sind. Sie sollen, wie eine Mitarbeiterin verrät, das Dach neben dem Wind auch vor der mangelnden Vorsicht etwaiger Besucher*Innen schützen. Die Galeriemitarbeiterin gibt noch ein weiteres Geheimnis preis: Das Dach hat eine unsichtbare Zwischenschicht aus Silikon, damit es auch an nassen Tagen nicht durchregnen kann. Das ist wichtig, denn hier soll nicht nur teurer Kaffee verkauft werden, sondern auch unabhängig vom Wetter sollen Veranstaltungen stattfinden.

Das Dach hat eine Zwischenschicht aus Silikon, damit es an nassen Tagen nicht durchregnet

Finanziert wird der Pavillon und das Programm durch den späteren Verkauf des Bauwerks. Außerdem unterstützen die Bank und Investmentfirma Goldman Sachs sowie weitere 15 Sponsoren das Projekt, was Fragen zur Finanzierung von Kunst aufwirft.

Denn umstritten war zuletzt die Leiterin der Serpentine Gallery, Yana Peel. Sie trat von ihrer Funktion zurück, nachdem der Guardian aufgedeckt hatte, dass sie Anteile an der Kapitalanlagenfirma Novalpina Capital ihres Mannes hält. Novalpina ist Haupteigentümer der israelischen Technologiegruppe NSO, die die Spionage-Software Pegasus herstellt. Pegasus ist in der Lage, geheimen Zugang zu iPhones für Spionage und Überwachungszwecke zu ermöglichen. Unter anderem sollen gerade Menschenrechtsver­tr­e­te­r*innen in Staaten wie Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Mexiko Opfer solcher Spionageversuche geworden sein. Darunter, laut einer Klage der in der Istanbuler Botschaft Saudi-Arabiens ermordete Journalist der Washington Post, Jamal Khashoggi.

Peels Teilhaberschaft erscheint besonders fehl am Platz, denkt man an die afroamerikanisch Künstlerin Faith Ringgold, die derzeit im Haupthaus ausgestellt. Die Bürgerrechtlerin und Feministin hätte in ihrer politisch aktivsten Zeit Ende der 1960er Jahre selbst Objekt des US-Geheimdiensts werden können und wurde einmal nach einem Protest verhaftet.

Pavillon bis zum 6. Oktober, Serpentine Gallery, Hyde Park