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„Mia san mia“ auf Amerikanisch

Die USA stehen nach einem sehenswerten Kampfabend wieder im Finale der WM. England wehrt sich tapfer – auch gegen Tränen nach dem Spiel

So sehen Siegerinnen aus: Die verletzte Megan Rapinoe nimmt im Kreis ihrer Kolleginnen die Ovationen der Fans entgegen Foto: Bernadett Szabo/reuters

Aus Lyon Alina Schwermer

Die Engländerinnen mühten sich, auch die letzte Anweisung ihres Trainers umzusetzen. Keine Tränen, hatte Phil Neville soldatisch eingefordert, keine Reue, nur ein Lächeln wollte er sehen nach der irre knappen 1:2-Niederlage im Halbfinale gegen die USA. Torhüterin Carly Telford kämpfte sichtlich mit der Erfüllung dieser Vorgabe. „Das Schlimme ist, dass wir wissen, wie nahe wir dran waren.“ „Wir versuchen, die Tränen zurückzuhalten, aber wir wollten das hier so sehr“, seufzte auch Jill Scott.

In den Katakomben des Stadions von Lyon waren die Engländerinnen hin und her gerissen zwischen dem so eng verpassten Finale und der berauschenden eigenen Leistung. „Wenn die Emotionen abgekühlt sind, werden wir sehr stolz sein“, bilanzierte Scott. Sie hinterließen auch dort unten Eindruck, die Spielerinnen dieses englischen Teams, sehr ruhig und tatsächlich manchmal lächelnd, ohne Tränen. „Unser Stil ist unverhandelbar“, postuliert der gestrenge Coach bei jeder Gelegenheit. Und wahrlich, auf und neben dem Platz hat England einen eigenen Stil gezeigt.

Von allen sehr attraktiven vorgeblichen vorgezogenen Finals, die die USA bei diesem Turnier schon bestritten haben – gegen Spanien, gegen Frankreich, nun also gegen England –, war dieses hier das beste. Eine Augenweide, schnell, technisch überragend, von beiden Teams bedingungslos offensiv geführt. „Ich dachte vorher: das Spiel wird ein 4:4, wie ein Boxkampf, wo keiner aufgibt“, sagte Phil Neville später. „Es gibt jetzt viel Respekt zwischen den Teams.“ Die Engländerinnen hatten die Titelverteidigerin am Abgrund, und dass die USA nicht stürzten, war Kleinigkeiten geschuldet: der Dribbelstärke des US-Teams, dem harten Pressing, der Abgebrühtheit.

Es war bezeichnend, mit welchem Selbstbewusstsein – manche nennen es Arroganz – die Amerikanerinnen nach der Partie sprachen. Sie lobten ein wenig die Engländerinnen. „Wir müssen immer mit Druck leben“, sagte Mittelfeldspielerin Kelley O’Hara. „Wir sind cool geblieben.“ Und Kollegin Abby Dahlkemper sagte, ihr Team habe „es in der DNA, zu gewinnen“. Mia san mia.

Vor allem in der Anfangsphase überrollten die US-Amerikanerinnen mal wieder ihre Gegnerinnen. 15 Minuten kompromissloser Ansturm, das ist Taktik, und bisher immer bei dieser WM erwuchs daraus die frühe Führung. Auch die Engländerinnen waren von der rasend herauskombinierten, eleganten Wucht der Angriffe überfordert. Pünktlich in der 10. Minute traf Christen Press, die die verletzte Megan Rapinoe ersetzte, zum 1:0. Aber England fing sich. Wie schon Spanien widerstanden sie der Versuchung, lange Bälle nach vorne zu dreschen, nein, sie passten sehr ansehnlich und sehr rasant nach vorn. Die USA konnten die selbst eingeschlagene Hochgeschwindigkeit nicht dauerhaft durchhalten; die freistehende Beth Mead schlug eine Flanke auf Ellen White (19.), und die glich aus. Einige Male danach hätten die Engländerinnen in Führung gehen können, wohl müssen. Nie in diesem Turnier waren die USA dem Aus so nahe.

Es war ein Spiel, das sich jeder Schilderung mokierte, zu wild flogen die Angriffe hin und her. In der 32. Minute traf Alex Morgan per Kopf zur 2:1-Führung der USA, zu dem Zeitpunkt hoch verdient. Die technische Qualität der amerikanischen Offensive konnte man sich schon anschauen.

In der zweiten Hälfte gab es dann ein Spektakel totale: Ellen White traf zum Ausgleich, das Tor wurde aber zu Recht wegen hauchdünnem Abseits aberkannt. Dann Elfmeter für England, wie so oft lächerlich kleinlich nach VAR-Einsatz entschieden, doch Steph Houghton schoss schwach, Alyssa Naeher parierte. Und kurz vor Schluss flog noch Millie Bright vom Platz. Eine Partie wie aus dem Wimmelbild eines Fußballspiels.

„Wir haben so verloren, wie ich es wollte“, sagte Neville nach dem Spiel und blieb im Kampfmodus: „Wir werden die USA einholen, und ich werde nicht ruhen, bis wir dort sind.“ Er habe, behauptete er, die Niederlage schon abgehakt, er denke jetzt an den dritten Platz, an olympisches Gold und den EM-Titel. Fußballerfolge nach dem Baukastenprinzip. Aber die Dynamik in England bleibt unübersehbar.

Das europäische Frauenfußball-Investment trägt bei dieser WM Früchte, in einer banalen Logik: Wer viel und konstruktiv Geld reinhaut, bekommt viel raus. Neville forderte nach der Niederlage noch mehr Investment, noch höhere Standards in der Nachwuchsausbildung, bessere Trainerinnen, es müsse alles schnell gehen. Kompromisslos frisst sich der zu Anfang viel kritisierte Ex-Profi in diesen Job. „Das hier gibt mir etwas, was meine Karriere mir nie gegeben hat.“ Man muss jedenfalls nicht mehr annehmen, dass er Frauen trainiert, weil er sonst keinen Job findet. Man konnte auch staunen über diesen Willen, die Wertschätzung, diesen klaren Zukunftsplan Nevilles und der FA in Richtung Weltspitze.

Dinge, die dem DFB völlig abgehen. In diesem Turnier noch stehen die USA recht unangefochten oben. Aber die Lücke schließt sich, nicht nur in England. Zur nächsten WM könnte sie geschlossen sein. Und das Finale am Sonntag müssen die USA auch erst mal gewinnen.

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