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Im Offensichtlichen entdeckt sie das kaum Gesehene, das Unbeobachtete

Friederike von Rauchs Aufnahmen menschenleerer Architektur und Landschaft im Haus am Kleistpark

Von Brigitte Werneburg

Friederike von Rauchs Aufnahmen menschenleerer Architektur und Landschaft wirken wie erfunden, so exquisit sind sie gefunden. Dieser Blick auf die Motive ist ein ganz eigener, den macht ihr so schnell niemand nach.

Tatsächlich fotografiert die Künstlerin Verborgenes, betritt Räume, in die nur ihr Einlass gewährt wird. Der Blick hinter die Kulissen, etwa bei der Wiederherstellung des Neuen Museums in Berlin (2009) oder bei der Umgestaltung der musealen Präsentation im Neuen Palais in Potsdam (2019), machte sie international bekannt. Doch auch im Offensichtlichen entdeckt sie das kaum je Gesehene, das Unbeobachtete. Das steckt gerne im Detail, wie in ihrer Ausstellung „Insgeheim“ im Haus am Kleistpark wunderbar zu sehen ist.

Friederike von Rauch versenkt sich in die Aufnahme ihres Motivs, sie arbeitet langsam und mit Bedacht

Ein modernistisches Betonensemble in Brüssel setzt sie bei silbergrauem Himmel und schattenlosem Licht so in Szene, dass sich die Architektur in nebelweißer Abstraktion aufzulösen scheint. Eine rohe, mit vielen Schattierungen von Weiß und Blau gefleckte Betonwand in Rotterdam möchte man als Farbfeldmalerei sehen, bevor man sich fragt, ob hier ausprobiert wurde, wie die Wand wohl am besten gestrichen würde.

Im Konzerthaus Harpa in Reykjavík entsteht die Aufnahme „HARPA 4“ (2010), in der aus tiefster Schwärze eine dunkle Wand, eine dunkle Tür und darüber ein von Tageslicht erhellter weißer Wandstreifen hervortreten. In „ZENOBIO 2“ (2012) ist die Situation kaum mehr zu entziffern, nur ein gleißendes Licht, das wie ein Bühnenspot von oben auf den schwarzen Boden fällt, lässt am Rand die rote Ecke einer Sitzbank aufscheinen.

Die Aufnahme wird in Venedig entstanden sein, wo Friederike von Rauch eine Zeit lang gelebt und gearbeitet hat. Anlass gab ihr Projekt „Monastic“ (als Bildband erschienen beim Jovis Verlag, Berlin 2019, 64 Seiten, 33 farbige Abbildungen, 40 Euro), für das sie europäische Klöster aufsuchte. Sie sollten freilich ihren Sitz – anders als Palladios Kloster San Giorgio Maggiore in Venedig – in Bauten der Nachkriegsmoderne haben.

Maria Regina Martyrum in Berlin etwa wurde 1963 eingeweiht. In der Nähe der ehemaligen Hinrichtungsstätte Plötzensee gelegen, zielt das Kloster nicht nur in seiner Architektur, sondern auch der Arbeit der Ordensschwestern darauf, dass dieser Ort des Verbrechens nicht vergessen wird. Golden glimmt hier die Betonwand mit dem Abdruck ihrer Holzverschalung aus der Schwärze des Raums.

Fantastisch dann der Blick in die Natur durch die tiefe Fensterbrüstung von Le Corbusiers 1960 eingeweihtem Klosterneubau Sainte-Marie de la Tourette. Gerade bei den Aufnahmen in Tourette, von denen eine faszinierender ist als die andere, fragt man sich, wie von Rauch das macht. Sichtlich ist das Licht, mit dem sie arbeitet, nur das vorhandene. Trotzdem, vielleicht auch gerade deswegen, kriecht es aus verborgenen Ecken hervor, schlängelt sich einem Fensterrahmen entlang oder bricht aus einem unsichtbaren Himmel ins Bild, dass man meint, das geht doch gar nicht. Das muss gelenkt und inszeniert sein.

Doch dem ist nicht so. Die 1967 in Freiburg geborene und in Berlin aufgewachsene Künstlerin arbeitet analog mit einer Mittelformatkamera; hat sie ihr Motiv gefunden, richtet sie es niemals her und benutzt auch kein künstliches Licht. Der Eindruck vollkommener Zeitlosigkeit ihrer Aufnahmen korrespondiert mit ihrem zeit­ent­ho­be­nen Arbeiten. Denn Friederike von Rauch versenkt sich in die Aufnahme ihres Motivs, sie arbeitet langsam und mit Bedacht. Und „insgeheim“, wie ihre Ausstellung denn auch heißt, stellt sie so das atmosphärisch Wesentliche der Bauten aufs Schönste heraus.

Bis 14. August, Haus am Kleistpark, Grunewaldstraße 6–7, Di.–So., 11–18 Uhr

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