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Vom Lehrstuhl an die Hobelbank

Oppositionelle Wissenschaftler*innen dürfen in der Türkei kaum noch lehren. Viele wechseln den Beruf. Vier Protokolle

Suzan Yazıcı arbeitete 7 Jahre an der Gerontologie der Akdeniz-Universität Antalya Foto: privat

Von Ishak Eren

Mit dem im Sommer 2016 verhängten Ausnahmezustand in der Türkei begann für Professor*innen und andere Hochschul­mit­arbeiter*innen eine umfassende Säuberungswelle. Allein von den Unterzeichnenden der Friedenspetition wurden 516 Personen per Notstandsdekret aus dem öffentlichen Dienst entfernt. Die Aka­demiker*innen für den Frieden hatten sich gegen die staatliche Gewalt in den kurdischen Provinzen ausgesprochen. Selbst ihre Reisepässe wurden ihnen entzogen.

Über 1.000 Verwaltungsangestellte wurden aus den gleichen Gründen aus den Hochschulen entfernt. Andere sahen keine andere Möglichkeit mehr, als ihre Jobs zu verlassen oder überstürzt ins Exil zu gehen. Wir haben mit Menschen gesprochen, die sich beruflich neu orientieren mussten oder ihre wissenschaftliche Arbeit jenseits der Hochschulen fortführen.

Suzan Yazıcı arbeitete sieben Jahre an der Gerontologie der Akdeniz-Universität Antalya und wurde 2016 per Notstandsdekret suspendiert

Um den Schock der Entlassung zu verarbeiten, habe ich die Wände meiner Wohnung mit Steindekor verkleidet. Es tat mir sehr gut, die ganzen kleinen Steine einzeln anzukleben. Danach begann ich, bei einem Schreinermeister zu arbeiten und mich in die Arbeit mit Holz zu stürzen. Mein Sohn schlug mir vor, nochmal die zentrale Aufnahmeprüfung für ein Hochschulstudium zu durchlaufen, und so konnte ich mich für Möbelbau und Dekoration einschreiben.

Ich sitze jetzt gemeinsam mit Studierenden, die so alt sind wie mein Sohn, im Seminar und kann die Dozent*innen, die ja eigentlich meine Kolleg*innen sind, mit ganz anderen Augen sehen. Ich stelle mir eine Zukunft in diesem neuen Beruf vor. Wir haben bereits an unser historisches Steinhaus in Kappadokien eine kleine Pension mit zwei Zimmern angebaut. Das Mobiliar dafür habe ich selbst gebaut und transportiert.

Als Unterzeichner*innen der Friedenspetition, die ihre Stellungen in Antalya verloren haben, organisieren wir monatliche Fortbildungsseminare und Vortragsreihen im Rahmen einer alternativen Akademie namens AnDA (Solidaritätsakademie Antalya). Ich entferne mich langsam vom Wissenschaftsbetrieb und interessiere mich für Handarbeit und Produktionsprozesse. An die Uni zurückzukehren wäre für mich nur noch insofern ein Gewinn, als damit klargestellt würde, dass meine Rechte verletzt wurden.

Arzu Acar war 20 Jahre im öffentlichen Dienst und Gewerkschafterin, wurde 2017 entlassen

Nach meiner Entlassung habe ich auf dem Markt und in einem Antiquitätenladen gearbeitet. Jetzt betreibe ich eine Kneipe. Das ist eine neue Identität für mich geworden und ich gebe mir Mühe, sie als Ausdruck meiner Haltung zum Leben zu gestalten. Alkohol ist aufgrund der konservativen Regierungspolitik und infolge der Wirtschaftskrise so teuer geworden, dass ich nach Möglichkeiten suche, mich meinen Kund*innen gegenüber solidarisch zu zeigen – etwa indem ich ihnen erlaube, ihre Getränke selbst mitzubringen.

Ich möchte einen Raum bieten, in dem Frauen sich wohl fühlen können, und lege darauf Wert, Frauen zu beschäftigen, um der vorherrschenden Genderdiskriminierung und den Beschränkungen für Frauen im öffentlichen Raum entgegenzuwirken. Wir wehren uns gegen Polizeirazzien und Menschenrechtsverletzungen, wir kämpfen gewerkschaftlich und juristisch.

Bediz Yılmaz hat am Lehrstuhl für Soziologie der Mersin-Universität gearbeitet

Nachdem ich die Friedenspetition unterschrieben habe, bin ich für zwei Jahre nach Deutschland gegangen. In der Zeit wurde ich auf einmal selbst zum Gegenstand meines jahrelangen Forschungsthemas Migration und habe die Schwierigkeiten der Migration von innen erlebt. Ich hätte durchaus die verschiedenen akademischen Möglichkeiten in Deutschland ausschöpfen können. Aber für mich war entscheidend, dass meine Familie in der Türkei war und ich nicht ein- und ausreisen konnte, weil mir mein Pass entzogen wurde. Deshalb bin ich nach Mersin zurückgekehrt.

Heute arbeite ich in Mersin in der Landwirtschaft. Gemeinsam mit zwei Freund*innen haben wir an den Taurushängen einen Olivenhain von einem halben Hektar angemietet. Zusätzlich haben wir einen Garten von 2.000 Quadratmetern, in dem wir Saisongemüse anbauen.

Bisher kann ich meinen Lebensunterhalt noch nicht mit der Landwirtschaft bestreiten, aber ich habe nichts zu beklagen. Ich habe sogar Angst davor, dass ich eines Tages an die Universität zurückmuss. Ich finde die akademische Sprache realitätsfern und möchte mir nicht mehr einreden müssen, dass diese Sprache die Realität abbildet. Es gibt immer noch Themen, wie zum Beispiel den Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft, die mich interessieren und zu denen ich arbeiten will. Aber diese Themen werde ich auf keinen Fall in ein akademisches Format bringen.

Cavidan Soykan war Politikwissenschaftlerin an der Universität Ankara

Seit meinem 18. Lebensjahr habe ich meinen Lebensunterhalt selbst verdient und diese ökonomische Freiheit sehr genossen. Seit meiner Entlassung lebe ich bei meinem Vater in Izmir.

Seit eineinhalb Jahren kann ich meine wissenschaftliche Arbeit unter dem Dach des Vereins für Migrationsstudien weiterführen, den wir gemeinsam mit anderen entlassenen Akademiker*innen gegründet haben. Allerdings arbeite ich von zu Hause aus und werde deshalb von meiner Familie und von Nachbarn als „arbeitslose, unverheiratete Hausfrau“ behandelt. Vor der Entlassung litt ich bereits an einer chronischen Krankheit, die mein Berufsleben leicht beeinträchtigt hat. Sie ist jetzt sehr viel schlimmer geworden.

Wer aus seinem Job rausgeworfen wird, vereinsamt unwillkürlich. Wenn man dann noch krank ist, vereinsamt man umso mehr. Die Geschichten von bekannteren Pro­fessor*innen sind in der Öffentlichkeit relativ sichtbar, aber für uns weniger Bekannte war es erstens schwer, anderen Menschen zu erklären, was genau passiert ist, und zweitens mussten wir unser Leben von null auf planen. Ich weiß immer noch nicht, was ich arbeiten und wie es weitergehen soll.

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Aus dem Türkischen von Elisabeth Kimmerle und Oliver Kontny

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