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„Sie gehen gestärkt daraus hervor“

Die Hamburger Anwältin Claudia Krüger vertritt NebenklägerInnen vor Gericht. Ein Gespräch über Schamgefühle, neue Schutzräume und notwendige Zumutungen im Prozess

Foto: privat
Claudia Krüger

56, ist Anwältin in Hamburg. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Erb-, Familien- und Strafrecht. Seit 2011 vertritt sie auch NebenklägerInnen vor Gericht.

Interview Friederike Gräff

taz: Frau Krüger, was ist ausschlaggebend dafür, ob eine Frau nach einem sexuellem Übergriff Anzeige erstattet oder nicht?

Claudia Krüger: Das hängt von der ersten Beratung ab, die diese Frau bekommt, bei wem sie sich offenbart und ob diese Person zu- oder abrät. Das muss nicht unbedingt eine juristische Person sein, das sind in erster Linie Vertrauenspersonen. Wenn sich die Frau überhaupt offenbart, dann tut sie das meist im familiären Bereich oder gegenüber Freundinnen. Die geben oft den ersten Anschub, weil sie sagen: „Das musst du anzeigen!“

Im Vorfeld des Prozesses gegen den früheren Leiter des Weißen Rings Lübeck gab es nach Medienberichten über zwei Anzeigen hinaus gegen ihn zahlreiche weitere. Ist das ein typisches Phänomen?

Ja. Eine Anzeige, die bei anderen Opfern bekannt wird, führt dazu, dass sie sich gestärkt fühlen: einerseits dazu, ihre Rechte jetzt auch geltend machen zu wollen und die Tat anzuzeigen, aber auch als Solidaritätsgedanke gegenüber den ersten Anzeigenden, die den Stein ins Rollen gebracht haben.

Ist es ungewöhnlich, dass zwischen der Tat und der Anzeige Zeit vergeht, möglicherweise sogar Jahre?

Das erlebe ich ganz häufig. Ich habe manchmal leider Mandantinnen, die so spät anzeigen, dass die Taten schon verjährt ist.

Wie kommt es, dass jemand so etwas so lange mit sich herumträgt?

Das kommt auf das Umfeld an: In familiären Verhältnissen, wo es häufig zu sexuellen Übergriffen kommt, sind es die Schamgefühle und Schuldgefühle. Oft weisen sich die Opfer ja die Schuld zu, sie glauben, die Taten irgendwie provoziert zu haben. Und sie haben oft das Gefühl, die Familie nicht noch weiter auseinanderreißen zu wollen. Es gibt auch die Furcht: Wer weiß, ob man mir glaubt, die vermutete Solidarität der anderen Familienangehörigen mit dem Täter.

Hat sich das Anzeigeverhalten durch das Opferschutzgesetz verändert?

Natürlich kann man nie sagen, wie groß die Dunkelziffer ist. Aber ich denke schon, dass durch die Stärkung der Opferrechte, insbesondere durch die Verlängerung der Verjährungszeiten, Opfer eher dazu bereit sind, Anzeige zu erstatten, insbesondere solche, die zur Tatzeit minderjährig waren. Viele informieren sich, ob die Tat verjährt ist, weil es dann keinen Sinn macht, sich der Tortur zu unterziehen, alles erzählen zu müssen und dann wegen der Verjährung doch nur eine Einstellungsverfügung zu bekommen.

Sie vertreten vielfach Opfer, die als Nebenklägerin auftreten. Kommt es vor, dass diese nach dem Prozess sagen: Hätte ich gewusst, was das bedeutet, hätte ich darauf verzichtet?

Die Mandantinnen, die ich im Bereich von Sexualdelikten vertreten habe, habe ich nach dem Verfahren meist als gestärkt erlebt. Extrem frustriert sind die Mandantinnen, bei denen es nicht zu Verfahren gekommen ist, weil Aussage gegen Aussage steht und man sich nach 25 Jahren nicht mehr an alle Details erinnern kann. Da sagen dann Frauen: Das hätte ich mir sparen können.

Wie erleben Sie die Prozesse, wo einerseits die Würde der ZeugInnen gewahrt werden soll und andererseits die AnwältInnen des Angeklagten versuchen, Entlastendes zu finden und dabei auch die Glaubwürdigkeit der OpferzeugInnen hinterfragen?

Das ist natürlich ein Balanceakt und man muss da gut aufpassen. Glücklicherweise haben wir viele Instrumentarien, um erst einmal die Öffentlichkeit auszuschließen und vielleicht auch zu erreichen, dass die Mandantin in Gegenwart des Angeklagten gar nicht aussagen muss. Stattdessen gibt es dann eine Videovernehmung in einem externen Raum. Das bedeutet dann, dass auch die Befragung per Video durchgeführt wird und die enge Atmosphäre im Gerichtssaal schon einmal geblockt wird.

Welche Rolle spielen die VerteidigerInnen der Angeklagten?

Man muss sehen, was für VerteidigerInnen man hat – ich erlebe es nicht häufig, dass sie über die Stränge schlagen. Sie versuchen, das Opfer zu schonen und die Fragen so zu stellen, dass es nicht zu peinlich berührt wird. Aber sie müssen natürlich nachfragen, das ist dem Straftatbestand immanent. Eine Zeugin, die sich entschieden hat, eine Sexualstraftat anzuzeigen, muss sich gefallen lassen, intime Dinge gefragt zu werden. Es gibt seltene Ausreißer.

Nämlich?

Ich habe eine Verteidigerin erlebt, die fragte: „Hatten Sie dabei einen Orgasmus?“ Das geht natürlich gar nicht. Aber anderes ist für JuristInnen strafentscheidend: Etwa, ob die Tat mit einem Eindringen verbunden war, denn da gibt es Mindeststrafen, die den Strafrahmen verdoppeln oder verdreifachen. Deswegen ist es natürlich legitim, dass die Verteidigung das fragt, weil sie es ihrem Mandanten schuldig ist.

Sind sich die ZeugInnen dessen bewusst?

Man muss sie darauf vorbereiten, dass diese Fragen kommen. Nicht manipulativ, in dem Sinne, sie so oder so zu beantworten. Bei der Art der Vorbereitung geht es fast weniger um das Juristische als um das Psychologische. Schon bei der Vernehmung bei der Polizei werden diese Fragen gestellt und das müssen die Frauen aushalten.

Wie sind Sie zur Opferanwältin geworden?

Ich bin da hineingerutscht. Ich wurde gefragt, ob ich einen jungen Zeugen vertreten würden, der gar nicht Opfer war, sondern Zeuge bei der Tötung seines besten Freundes. Dieser Zeuge sollte geschützt werden vor der Phalanx der ganzen Verteidiger, die dort saßen. Man fürchtete ein ganz hartes Kreuzverhör, weil die Verteidigung auf Freispruch hinaus wollte. Das habe ich ganz gut gelöst und danach kam man auf mich zu und fragte, ob ich ein Opfer vertreten könnte. Ich mache das nun seit acht Jahren und habe gemerkt, dass es mir große Befriedigung verschafft.

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