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Ein Verkaufsschlager ausDeutschland

In der Türkei wird Hitlers „Mein Kampf“ in fast allen Buchhandlungen und sogar in Supermärkten verkauft. Die türkisch-jüdische Gemeinde protestiert gegen den steigenden Antisemitismus

Von Serdar Korucu

Ausgaben von „Mein Kampf“, die Hitler regelrecht verherrlichen, findet man in der Türkei in den Regalen fast aller Buchhandlungen – und sogar in Supermärkten. Eine Ausgabe, die vom Parga-Verlag in Ankara herausgegeben wird, beginnt etwa mit den Worten: „Adolf Hitler, der am 30. April 1945 in Berlin für immer die Augen schloss, war nicht nur Politiker und Soldat, sondern auch Künstler und Schriftsteller.“ So stellt der Verlag den Diktator vor, der den Zweiten Weltkrieg begonnen hat und der für den Tod von Millionen von Menschen verantwortlich ist.

Unter den Fotos am Ende des Buches stehen noch weitaus problematischere Aussagen, etwa: „Adolf Hitler – für sein Land und sein Volk war er zu jedem Opfer bereit“ und unter einem Foto, das ihn lächelnd mit einem Kind zeigt: „Adolf Hitlers Liebe zu Kindern“ – als ob unter den sechs Millionen Juden, die er ermorden ließ, nicht 1,5 Millionen Kinder waren.

Das Buch findet bei Leser*innen in der Türkei guten Absatz. Der Parga-Verlag verkauft seine Ausgabe in einer Auflage von 10.000 Exemplaren. Und das in Zeiten, in denen sich viele Verlagshäuser aufgrund der Papierkrise und wegen der sinkenden Leserzahlen kaum über Wasser halten können oder schließen müssen.

„Mein Kampf“ auf den Bestsellerlisten

Der Verkaufserfolg von „Mein Kampf“ in der Türkei ist nicht neu. Die antisemitische Propagandaschrift war bereits in den Jahren 2004 und 2005 zum Bestseller geworden, als 13 Verlagshäuser die türkische Übersetzung beinahe zeitgleich herausgaben und sich gegenseitig im Preis unterboten. Einer dieser Verlage ist der Verlag Manifesto, er allein produzierte damals 30.000 Exemplare und verkaufte davon laut eigenen Angaben in nur einem Monat 20.000 Ausgaben.

Diese Entwicklung veranlasste 2005 den damaligen Vorsitzenden der türkisch-jüdischen Gemeinde, Silvyo Ovadya, zum steigenden Antisemitismus in der Türkei Stellung zu beziehen: „Es ist wirklich schlimm, dass dieses Buch zu einem so niedrigen Preis verkauft und durch Werbekampagnen gefördert wird. Die ganze Welt weiß, was Hitler gedacht hat. Es stört mich, dass ich in Buchhandlungen dieses Buch in den vorderen Regalen sehe“, hieß es in der Pressemitteilung. „Der Verkauf des Buches ist ein Zeichen dafür, dass der Antisemitismus im Land zugenommen hat.“

Im Jahr 2007 ließ der Freistaat Bayern „Mein Kampf“ in der Türkei von türkischen Gerichten verbieten. Dadurch wurde der Verkauf gestoppt – bis zum Jahreswechsel 2015, 70 Jahre nach dem Tod des Autors, die urheberrechtliche Schutzfrist des Buchs ablief. Damit wurde der Weg frei für den Neudruck. In Deutschland veröffentlichte das Institut für Zeitgeschichte eine kritische Edition von „Mein Kampf“, weil die Neuauflage nicht zu verhindern war. In 3.500 Fußnoten werden Hitlers hasserfüllte Verschwörungstheorien wissenschaftlich kommentiert und eingeordnet.

Diese kommentierte Ausgabe ist auf Türkisch nicht erhältlich, dafür aber verherrlichende Ausgaben wie die des Parga-Verlags. Den Verlagen, die „Mein Kampf“ heraus­geben, gehe es um den wirtschaftlichen Gewinn, der mit dem Buch zu machen sei, vermutet der Verlagschef des armenisch-türkischen Verlagshauses Aras, Rober Koptaş. Den unkritischen Umgang der türkischen Verlagshäuser erklärt er sich damit, „dass der Holocaust für weite Teile der Bevölkerung hierzulande ein fremdes Thema und weit weg ist“.

Selbst in Supermarktregalen tauchen immer wieder Ausgaben von „Mein Kampf“ auf. Dass im Februar 2016 der Verkauf des Buches in der Supermarktkette Migros in der Türkei gestoppt wurde, ist den Protestreaktionen der Menschen in den sozialen Medien geschuldet.

Doch Migros war nicht die einzige Supermarktkette, die „Mein Kampf“ verkaufte. Zuletzt schrieb am 22. Mai die Chefredakteurin der türkisch-jüdischen Zeitung Şalom, Virna Banastey, auf Twitter: „Hallo liebe @CarrefourSA, müsst ihr wirklich unter den 20 Büchern, die ihr verkauft, ausgerechnet ‚Mein Kampf‘ anbieten …?!“ Als der Tweet zur französischen Carrefour-Zentrale vordrang, wurde das Buch schleunigst aus den Regalen des türkischen Carrefour verbannt. Aber war das Problem damit gelöst? Wohl kaum.

Der Antisemitismus wird an der Basis verinnerlicht

Einer der Leser*innen, die sich das Buch gekauft haben, ist Baran Yıldız*. Er möchte nicht, dass sein echter Name veröffentlicht wird. Nachdem er das Buch gelesen hatte, teilte er am 7. Juni auf Instagram die Botschaft: „Lasst uns ein bisschen lesen“. An dem Buch habe ihn interessiert, dass Hitler eine „unstrittige Führungsstärke“ bewiesen habe. „Mein Kampf“, findet er, sei nicht schlimm, sondern „nur nationalistisch“.

Yıldız bezeichnet sich selbst als „Nationalisten“ und fügt hinzu, Nationalismus sei nichts Schlechtes. Hitler habe an die „Stärke der Deutschen geglaubt“, er glaube an die „Stärke der Türken“. Dann kommt er auf das angebliche „Syrerproblem“ in der Türkei zu sprechen, dem man „nicht einfach tatenlos zuschauen könne“. Yıldız glaubt, dass die Türkei aus der heutigen krisengebeutelten Zeit von einem „Retter“ auf den richtigen Pfad geführt werde.

Verlagschef Koptaş sieht den Verkauf in Supermärkten mit Sorge. „Früher wurde das Buch von islamistischen Verlagen für eine politisch-islamistische Zielgruppe gedruckt und dabei ging es nicht so sehr um die geistige Verwandtschaft, sondern um die Sache der Palästinenser“, sagt er. Heute dagegen richte sich das Buch an eine breitere Leserschaft, was der Verkauf in Supermärkten erkennen lasse. „Dadurch ist es für eine ideologisch größere Zielgruppe zugänglich, was noch viel gefährlicher sein könnte. Der Antisemitismus wird dadurch an der Basis von breiten Teilen der Bevölkerung verinnerlicht.“

Ob eine neue Protestwelle in den sozialen Medien ausgelöst wird, wenn in Zukunft wieder in einem Supermarkt „Mein Kampf“ auftaucht, wird von einzelnen Personen aus der türkisch-jüdischen Gemeinde und ihrer Enthüllungsarbeit abhängen. Aber selbst wenn die Kampfschrift aus den Supermarktregalen verschwindet, werden ihre Leser*Innen und die Angehörigen der türkisch-jüdischen Gemeinde dem Buch in den Buchhandlungen und Antiquariaten begegnen und es wird weiterhin Teile der Bevölkerung vergiften.

*Name von der Redaktion geändert

Aus dem Türkischen von Judith Braselmann-Aslantaş

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