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Der Brexit, die Juden und die Dauerplagen Labours

Um neuen Enthüllungen über krassen Antisemitismus bei Labour entgegenzutreten, legt Jeremy Corbyn die britische Oppositionskraft auf ein zweites Brexit-Referendum fest

Aus London Daniel Zylbersztajn

„Absichtlich böswillige Stellungnahmen“ und „Irreführung der Öffentlichkeit“ – so reagiert Großbritanniens Labour-Opposition auf eine vernichtende Dokumentation des BBC-Fernsehens am Mittwochabend über den Umgang mit Antisemitismus in der Partei. Ein Satz, der verrät, wie groß die Defensive ist, in der sich Labour befindet.

Die alte britische Arbeiterpartei steckt in der Krise. In einer der letzten Meinungsumfragen lag sie an vierter Stelle, mit nur noch 18 Prozent. Grund war bisher vor allen die Weigerung der Parteispitze um Jeremy Corbyn, sich hinter die von der Mehrheit der Mitglieder unterstützte Forderung nach einer zweiten Volksabstimmung zum Brexit zu stellen.

Während bei den Konservativen der Machtkampf um die Nachfolge Theresa Mays tobte, wurde die Luft in den obersten Labour-Etagen immer dünner. Erst stellte sich nach den Europawahlen Schattenaußenministerin Emily Thornberry, eine enge Vertraute Corbyns, hinter ein zweites Referendum. Als dann auch noch Schattenfinanziminister John McDonell und Schatteninnenministerin Diane Abbott, sie stehen Corbyn ebenfalls nahe, die referendumsfeindliche Haltung des Parteichefs und seines Stabs kritisierten, wurde es eng. Zudem kündigte sich eine Sendung des BBC-Investigationsprogramms „Panorama“ mit neuen Enthüllungen zum Antisemitismus bei Labour an.

Am Dienstag, einen Tag vor der BBC-Ausstrahlung, erklärte Corbyn in einem Rundbrief an alle Genoss*Innen, dass seine Partei nun dafür sei, jeden Brexit-Deal eines zukünftigen konservativen Premierministers dem Volk vorzulegen, mit der von Labour zu unterstützenden Alternativoption des Verbleibs in der EU. Diese Positionierung ist nicht neu, aber erstmals stützte sie sich auf die Zustimmung aller drei Flügel der Labour-Partei: die Parlamentsfraktion, die einfachen Mitglieder und die mit Labour affiliierten Gewerkschaften.

Obwohl dieser späte langersehnte Entschluss zukünftig im Parlament wichtig sein könnte, sorgte er nur für kurze Aufmerksamkeit. Noch am gleichen Abend donnerten die beiden konservativen Spitzenkandidaten live in einer Fernsehdebatte aufeinander, Trump twitterte böse über Theresa May – und als sei all das noch nicht genug, traten am Abend drei Labourabgeordnete des Oberhauses, zwei davon jüdisch und ein weiterer armenischen Hintergrunds, aus der Partei aus, mit Verweis auf Antisemitismus.

Großbritanniens Oberrabbiner wirft Labour jetzt direkte Komplizenschaft mit Antisemitismus vor

Am Mittwochabend begann dann die BBC-Sendung mit den Worten einer jungen jüdischen Labourgenossin. „Ich trat Labour bei wegen meiner jüdischen Werte und was ich von meinen Eltern und meiner Synagoge lernte, und war das unglückliche Opfer von viel Antisemitismus in meiner Partei“, erzählte sie. Es folgten Schilderungen durch enttäuschte Labouraktivisten sowie die Aussagen von acht Whistleblowern, darunter vier, die dadurch eine Stillschweigevereinbarung mit der Partei brachen. In Labour-Versammlungen seien jüdische Mitglieder „dreckige Zionisten“ und „Judenschweine“ genannt worden, linke Aktivisten hätten „Hitler ging nicht weit genug“ gesagt, ein Corbyn-Mitarbeiter habe eine „jüdische Verschwörung“ kritisiert. Verwiesen wurde auf direkte Einmischung der Corbyn-nahen Labour-Generalsekretärin Jenny Formby sowie von Corbyns Stab in die normalerweise unabhängigen Disziplinarverfahren der Partei. Empfehlungen zur Suspendierung antisemitischer Mitglieder seien wiederholt nicht eingehalten worden. Sam Matthews, der ehemalige Leiter des Disziplinarausschusses, und andere gaben an, dass diese Untergrabung ihrer Arbeit sie zur Verzweiflung getrieben hätten, in Matthews’ Fall fast zum Suizid.

Labour wies die Vorwürfe „vollkommen“ zurück. Anders sah es Großbritanniens Oberrabbiner, Ephraim Mirvis. Es gehe nun nicht mehr um die Frage der Unfähigkeit der Labour-Parteiführung, sich mit Antisemitismus auseinanderzusetzen, sondern um direkte Komplizenschaft, sagte er. Der Leiter des jüdischen Verbandes in der Labour-Partei, Mike Katz, sah in den Enthüllungen eine Bestätigung seiner Entscheidung, Labour vor die unabhängige britische Gleichberechtigungs- und Menschenrechtskommission (EHRC) zu zitieren.

Nun verlangen Corbyns Kritiker – darunter Vizeparteichef Tom Watson und Schattenbrexitminister Keir Starmer – eine Überarbeitung der Parteiregeln. Und aus Watsons Sicht ist jetzt Corbyn gefragt. So wie erst der Labour-Chef die Partei auf einen Pro-Referendums-Kurs beim Brexit habe festnageln können, sei auch beim Antisemitismus Corbyn der einzige, der schlagkräftig handeln könne.

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