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Das G-Wort soll Vergangenheit sein

Dänemarks sozialdemokratische Regierung will soziale Problemviertel nicht mehr „Getto“ nennen – doch die kürzlich aufgestellten Sonderregeln für diese Orte gelten weiter

Aus Stockholm Reinhard Wolff

Sechsundzwanzigmal kommt das Wort „Getto“ in einem Gesetz vor, das eine Mehrheit des dänischen Parlaments am 22. November letzten Jahres verabschiedet hat. Es ist ein Gesetz mit Spezialregelungen für Wohnviertel, in denen die Mehrheit der Bevölkerung aus „nichtwestlichen Ländern“ stammt und in denen es hohe Arbeitslosigkeit oder eine überdurchschnittlich hohe Kriminalitätsrate gibt. 29 solcher Viertel zählt die aktuelle „Gettoliste“ auf. Doch damit soll nun Schluss ein – zumindest mit dem Begriff.

Am Dienstag kündigte Kaare Dybvad, neuer Wohnungsbauminister der sozialdemokratischen Regierung von Mette Frederiksen nun aber an, ab sofort solle „das G-Wort“ nicht mehr gebraucht werden. Es sei „außerordentlich unpräzise“, denn die meisten würden dabei doch vermutlich an das Warschauer Getto oder an Slum-Viertel in US-TV-Serien denken – und damit hätten die fraglichen dänischen Wohnviertel absolut nichts zu tun. Zudem stigmatisiere es die Menschen, die dort lebten. Man solle doch lieber von „exponierten Wohngebieten“ sprechen.

„Verdammt smart, Kaare“, lästerte die liberale Tageszeitung Ekstrabladet: Das G-Wort werde abgeschafft, die Gettopolitik gehe aber weiter wie bisher, nur eben „mit menschlichem, sozialdemokratischem Angesicht“. Tatsächlich beeilte sich Dybvad nämlich zu versichern, dass die Wortreform zu keinen Änderungen in der praktischen Politik führen werde.

Die „Getto-Gesetzgebung“ der Vorgängerregierung unter Lars Løkke Rasmussen hatten die Sozialdemokraten nämlich ausdrücklich mitgetragen. Das Ziel dieser Politik sollte ein „Dänemark ohne Parallelgesellschaften“ sein. Schaffen wollte man das in den Vierteln auf der Gettoliste beispielsweise über einen obligatorischen Kindergartenbesuch, über Umverteilung von SchülerInnen an andere Gymnasien, Abriss von Sozialwohnungen und Zuzugsbeschränkungen für Sozialleistungsbezieher. Das werde weiterhin verfolgt, erklärte Minister Dybvad.

29 solcher Viertel zählt die aktuelle „Gettoliste“ der dänischen Regierung auf

Die Reaktion von den BewohnerInnen der fraglichen Viertel versuchte am Mittwoch die liberale Tageszeitung Politiken einzufangen. Inga Lindstrøm wird zitiert, die seit 30 Jahren im Wohnviertel Gadehavegård in Høje-Taastrup lebt, einem westlichen Vorort von Kopenhagen. „Schwachsinnig“ sei dieser Getto-Begriff schon immer gewesen: „Das sind eben Sozialwohnungen hier, basta.“ Ihre Tochter habe ihr erzählt, dass Leute schockiert reagierten, wenn sie hörten, dass ihre Eltern in einem Viertel lebten, das auf der Gettoliste steht: „Das ist schon ziemlich traurig, weil wir hier total zufrieden sind.“

Und auch ihre Nachbarin, die 78-jährige Bente Bentzen, die seit 1976 im Gadehavegård wohnt, kommt zu Wort: „Ich habe nie verstanden, warum man das hier überhaupt ein Getto nennt.“ Viel wichtiger sei für sie, was mit ihrem Haus passieren werde. 2020 soll bekannt gemacht werden, welche Wohnblöcke hier abgerissen werden sollen: „Wenn sie uns nur in Ruhe lassen, können sie das hier nennen, wie sie wollen.“

Pia Kjærsgaard von der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei und Inger Støjberg, Ausländerministerin der vorherigen Regierung, sehen die Symbolik des Wortes „Getto“ aber ganz anders. Das Wort habe sich eingebürgert, sagt Kjærsgaard: Wer es abschaffe, wolle auch die stramme Ausländerpolitik aufweichen. Die dänischen SozialdemokratInnen waren zuletzt in der Migrationspolitik stark nach rechts geschwenkt und haben dieser Linie nach Ansicht von Experten ihren Erfolg bei der Wahl Anfang Juni verdankt. Støjberg betont, „man muss die Dinge beim richtigen Namen nennen“. Diese Viertel nenne man Gettos, „weil sie nicht Teil des restlichen Landes sind, sondern Gebiete, aus denen heraus versucht werde, das Fundament unserer Gesellschaft zu erschüttern“.

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