: In die Liga der ganz Großen
Als hätte ihre Energie kein Ende: Lizzo mischt im Festsaal Kreuzberg R’n’B mit Synthiepop und Einflüssen von Funk, Gospelmusik und Südstaatenrap
Von Carolina Schwarz
Das Publikum tanzt, singt und klatscht voller Elan am Montagabend im Festsaal Kreuzberg. Und das, schon eine Stunde bevor Lizzo überhaupt die Bühne betritt. DJ Sophia aus ihrer Crew legt Pop und Hip-Hop-Hits der letzten Jahre auf, von Whitney Houston über M.I.A. bis Cardi B. Das überwiegend weibliche Publikum hat Bock und, wie es in den nächsten knapp 90 Minuten unter Beweis stellen wird, ist verlässlich und laut.
Wie auch ihr Album beginnt die US-amerikanische Sängerin Lizzo um 21 Uhr einzig mit ihrer kraftvollen Stimme das Konzert. „Cuz I Love You“, singt sie in den Raum, in dem es auf einmal ganz still geworden ist. Eine Liebesballade, die auch Adele nicht besser singen könnte. Liebe spielt an dem Abend immer wieder eine Rolle. Neben einem fast phrasenhaften „I love you, Berlin“, das Lizzo bei ihrem ersten Deutschlandkonzert wiederholt in die Menge ruft, geht es auch um Selbstliebe. „Egal ob du single, in einer Beziehung oder frisch geschieden bist, Hauptsache, es geht dir gut und du machst es für dich“, ruft sie ihrem Publikum entgegen – das mit Jubeln antwortet.
Selflove, Body Positivity und Black Empowerment thematisiert Lizzo in fast jedem ihrer Songs. Für sie sind die Themen kein Trend, sondern ein andauernder Kampf gegen bestehende rassistische und sexistische Strukturen. In zahlreichen Interviews erzählt Melissa Jefferson, wie Lizzo gebürtig heißt, wie sie unter den Strukturen leidet. Lange Zeit fiel es ihr beispielsweise schwer, ihren dicken Körper schön zu finden. Doch wer bei ihren Songs zuhört, weiß, Lizzo liebt sich selbst. Und sie will, dass es allen anderen genauso geht.
Wer sich nun ein ruhiges, andächtiges Konzert vorstellt, könnte nicht falscher liegen. Die Ansprachen und Geschichten aus Lizzos Vergangenheit nehmen nur einen kleinen (aber wichtigen) Teil des Konzertes ein. Die restliche Zeit singt und rappt die Schwarze Musikerin mit vier Tänzerinnen und einer DJ auf der Bühne – als hätte ihre Energie kein Ende. Die Musik des Abends unter ein Genre fassen zu wollen, ist vergebens. Sie mischt R’n’B mit Synthiepop mit Einflüssen von Funk, Gospelmusik und Südstaatenrap.
Unabhängig, ob sie an diesem Abend mit ihren eigenen Songs wie „Water Me“ oder dem basslastigen Missy-Elliot-Feature „Tempo“ oder kurzen Samples von TLCs „No Scrubs“ oder Aretha Franklins „Respect“ auftritt, Lizzo liefert ab. Wenn Lizzo, einer langen Twerkeinlage geschuldet, kurzzeitig der Atem ausgeht, springt das Publikum bei den Texten problemlos ein.
Nach einer Stunde dann der Höhepunkt des Abends: Lizzo verschwindet kurz von der Bühne, nur um kurz darauf mit einem weißen Brautschleier auf dem Kopf begleitet von Richard Wagners Hochzeitsmarsch wieder aufzutauchen. Die klassische Musik verstummt, der Beat setzt ein und gemeinsam mit ihrem Publikum rappt Lizzo: „I just took a DNA test, turns out I’m 100 % that bitch“. „Truth Hurts“ heißt der Song, der diese Woche auf Platz sechs der US-amerikanischen Billboard „Top 100“-Charts gerutscht ist und damit Lizzos erste Single in den „Top Ten“ darstellt. Nach minutenlangem Applaus wird der Song noch einmal gespielt, dieses Mal jedoch nicht von Lizzo gesungen, sondern vom Publikum, das jede Zeile des Songs auswendig kennt.
Nicht nur die Verkaufszahlen, auch das Konzert zeigt, dass Lizzo in die Liga der ganz Großen, wie Beyoncé oder Rihanna, gehört. Zum Abschied an diesem Abend spielt die 31-Jährige ihre erste Single-Auskopplung des Albums „Juice“, und endlich kommt auch der langersehnte „special guest“ zum Einsatz. „Sasha Flute“ wird von einer ihrer Tänzerinnen auf die Bühne getragen. Jene Querflöte, die die Sängerin nach dem dritten Beyoncé-Album „Sasha Fierce“ benannt hat.
Seit sie 10 Jahre alt ist, spielt Lizzo das Instrument, später studierte sie es im Hauptfach an der University of Houston. Entsprechend beeindruckend ist ihr kurzes Flötensolo. Wer auf mehr davon hofft, kann sich auf November freuen. Da kommt Lizzo mit Stopps in Köln, München und Berlin erneut nach Deutschland. Dann auch nicht in den Festsaal Kreuzberg, sondern eine Nummer größer in die Columbiahalle – und Sasha Flute ist bestimmt auch wieder dabei.
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