Justizreform verletzt EU-Recht

Dutzende ranghohe Richter in Polen hätten gehen müssen. Das beanstandet der EuGH nun erstmals

Von Christian Rath

Der Austausch vieler erfahrener Richter am Obersten Gericht Polens verstieß gegen EU-Recht. Dies stellte der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Montag in Luxemburg fest. Das Gericht verurteilte Polen damit erstmals im Zusammenhang mit den rechtsstaatlich bedenklichen Justizreformen.

Seit 2015 regiert die nationalkonservative Partei PiS in Polen. Seitdem versucht sie die polnische Justiz unter ihre Kontrolle zu bekommen. Verschiedene Gesetze veränderten unter anderem die Regeln für die Besetzung des Verfassungsgerichts, des Obersten Gerichts und des Justizverwaltungsrats, der die Richter wählt.

Im konkreten Fall ging es um die Absenkung des Pensionsalters am Obersten Gericht von 70 auf 65 Jahre. Die polnische Regierung erklärte, dass sie damit nur die Pensionsgrenze an das allgemeine Renteneintrittsalter in Polen anpassen wollte. Allerdings hatte dies zur Auswechslung von 27 der 72 Richter des Gerichts geführt. Betroffen war auch die Präsidentin des Gerichts, Malgorzata Gersdorf, eine vehemente Kritikerin der bisherigen Justizreformen.

Die Maßnahmen, die im April 2018 in Kraft traten, wurden bereits im Oktober 2018 vom Europäischen Gerichtshof durch eine einstweilige Anordnung gestoppt. Polen akzeptierte die Anordnung und nahm einen Monat später die Reform sogar zurück, die pensionierten Richter wurden wieder in ihr Amt eingesetzt. Die EU-Kommission nahm ihre Klage wegen der grundlegenden Bedeutung des Falles aber nicht zurück.

Der Europäische Gerichtshof entschied nun, dass die polnische Reform die Prinzipien der Unabhängigkeit der Gerichte verletzt hatte. Wenn das Pensionsalter ohne Übergangsregelung abgesenkt wird, führe das zu einer verkürzten Amtszeit von gewählten Richtern. Dies wecke ernsthafte Zweifel an den wahren Zielen der Reform und beeinträchtige daher den Grundsatz der Unabsetzbarkeit der Richter.

Auch die in der Reform vorgesehene Möglichkeit, dass der polnische Präsident die Amtszeit der obersten Richter auf Antrag verlängern kann, verletzte laut dem Gericht die Unabhängigkeit der polnischen Justiz. Denn das Gesetz sah keine Kriterien und keine Begründungspflicht hierfür vor. Der Präsident konnte also nach freiem Ermessen über die Amtszeit oberster Richter entscheiden.

Das Urteil kommt nicht überraschend. Der EuGH folgte damit dem Schlussantrag des unabhängigen Generalanwalts Evgeni Tanchev vom April 2019. Wie der Generalanwalt stützte sich der Europäische Gerichtshof auf Artikel 19 des EU-Vertrags: „Die Mitgliedstaaten schaffen die erforderlichen Rechtsbehelfe, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist.“

Der EuGH kann so die Justizstruktur in den EU-Staaten nicht nur (wie früher) bei der konkreten Anwendung von EU-Recht kontrollieren, sondern schon dann, wenn diese abstrakt für die Anwendung von EU-Recht zuständig sein könnte. Diese Lösung hatte der EuGH bereits Anfang 2018 in einem Urteil gegen Portugal entwickelt.