Rechtsstreit ohne Ende

Die Ärztin Kristina Hänel wurde verurteilt, weil sie über Schwangerschaftsabbrüche informierte. Nun wurde das Urteil aufgehoben. Hänel freut das dennoch nicht

Führt inzwischen einen politischen Kampf: Ärztin Kristina Hänel Foto: Boris Roessler/dpa

Von Patricia Hecht

Es klingt nach einer Erfolgsmeldung: Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat die Verurteilung der Gießener Ärztin Kristina Hänel wegen unerlaubter „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche aufgehoben. Allerdings: Für Hänel wird der Rechtsweg bis zu einer endgültigen Klärung über den umstrittenen Paragrafen 219a nun noch länger. Die Ärztin will diesen vor dem Bundesverfassungsgericht kippen.

Das OLG verwies den Fall nun zurück ans Landgericht Gießen. „Damit ist wieder klar geworden, dass es beim Paragrafen 219a keine Rechtssicherheit gibt“, sagte Hänel am Mittwoch der taz. „Dass ich nun eine Ehrenrunde drehen muss, ist total ärgerlich.“ Für Frauen bedeute das, dass ihnen der Zugang zu Informationen zum Schwangerschaftsabbruch weiter erschwert würde. An ihrem Plan, zum Bundesverfassungsgericht zu ziehen, ändere der Beschluss des OLG aber gar nichts.

Der Paragraf 219a verbietet es ÄrztInnen, auf ihren Webseiten darüber zu informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Wegen der Anklage und Verurteilung von Hänel entbrannte 2017 eine Debatte über den Paragrafen. Im Februar 2019 beschloss die Bundesregierung eine Reform des Gesetzes: Nun dürfen ÄrztInnen zwar schreiben, dass sie Abbrüche machen – für jede weitere Information, wie etwa die Methoden, müssen sie aber auf andere Stellen wie die Bundesärztekammer verweisen.

Schon vor der Reform, im Oktober 2018, wurde Hänel wegen Verstoßes gegen den Paragrafen in zweiter Instanz vom Landgericht Gießen verurteilt. Dieses Urteil hebt das OLG nun auf. Im deutschen Strafrecht gilt der Grundsatz, dass bei geänderter Rechtslage für den oder die Angeklagte das mildere Gesetz anzuwenden ist. Im Fall Hänel sei demnach der nach Erlass des Urteils geänderte Paragraf anzuwenden, teilte das OLG mit.

„Dass ich eine Ehren­runde drehen muss, ist total ärgerlich.“

Kristina Hänel

„Für das OLG ist das der Weg des geringsten Aufwands“, sagte Hänels Anwalt Karlheinz Merkel. Er gehe davon aus, dass das neue Gesetz keine Veränderung für Hänel bringen werde. Einen Freispruch vor dem Landgericht hält Merkel für „praktisch ausgeschlossen“. Sollte Hänel wieder verurteilt werden, würde sie wieder Revision einreichen. Die andere Möglichkeit sei, dass das Gericht dem Begehren Hänels stattgebe und den Fall direkt dem Bundesverfassungsgericht vorlege – „weil die Regelung weiter völlig wirr und verfassungswidrig“ sei, so Merkel.

Hänel kündigte zudem an, selbst vor Gericht zu ziehen: gegen Klaus Günter Annen, einen der Männer, der sie und weitere ÄrztInnen wegen Verstoßes gegen den Paragraf 219a angezeigt hatte. Annen betreibt die Website www.babykaust.de, hetzt dort gegen ÄrztInnen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen und schreibt, es gebe eine „Steigerungsform der grausamen Verbrechen“ des Holocaust, nämlich Abtreibungen.

Annen habe „schon lange die Ebene der freien Meinungsäußerung verlassen“, sagte Hänel. Bei ihren Lesereisen rufe er zum Stören auf. „Mir macht das Angst.“ Bei der Klage auf Unterlassung und Schmerzensgeld gehe es unter anderem um Annens „Schmähkritik im Zusammenhang mit den KZ-Verbrechen“.