: Du scheinst gar nicht glücklich
Hilft Anerkennung im Literaturbetrieb? Ja – und nein. Schriftstellerinnen müssen das Nichtverstandenwerden in Kauf nehmen, sie müssen dranbleiben, Leute zu quälen: mit Ichbezogenheit, der eigenen Befindlichkeit, der Unsicherheit und der Nacktheit, die mit dem Versuch einhergehen, die eigene Stimme zu erheben. Eine Rede
Von Anke Stelling
Es ist grandios, ans Mikrofon zu treten und hineinzusprechen – und alle im Saal hören zu. Es ist erhebend und zugleich einschüchternd, und es gibt eine Menge Tricks, diesen Widerspruch nicht allzu groß und vor allem nicht nach außen spürbar werden zu lassen. Einer davon ist es, die Stimme zu verstellen, doch das ist Gift für eine Schriftstellerin, und als solche trete ich ja heute hier auf. Eine Schriftstellerin sollte versuchen, ihrer eigenen Stimme möglichst nahe zu kommen und dann auch treu zu bleiben, und wann, wenn nicht jetzt – wo diese Stimme auch noch prämiert wird – sollte ich sie behaupten, doch das fällt mir schwer.
Worin besteht sie denn überhaupt?
„Ich höre mich Sätze sagen, die ich niemals sagen wollte“, hat meine Kollegin Dilek Güngör neulich nach einer Diskussion im Anschluss an ihre Lesung gesagt, und das ist tatsächlich noch mal eine Extraaufgabe: die Rezeption des eigenen Werks zu moderieren und zu kommentieren und dabei bloß nicht zu weit zu gehen. Denn das, was man als Schriftstellerin in die Welt gesetzt hat, ist frei und soll es auch bleiben, und der Wunsch, richtig verstanden zu werden, gehört dringend gezügelt: Sonst begeht man Verrat an der Kunst.
„Ich höre mich Sätze sagen, die ich niemals sagen wollte“ ist ein Satz, der auch in „Fürsorge“ steht, einem meiner Romane, und da bezieht er sich aufs Elternsein, was ja was ganz Ähnliches ist wie das Schriftstellersein: Man hat was in die Welt gesetzt und versucht dann, es zu moderieren und zu kommentieren in dem hilflosen Wunsch, es noch besser zu machen – wo’s doch längst eigenständig unterwegs ist.
Interpretation und Kontrolle sollten mit Herausgabe eines Textes oder Kindes beendet sein, aber krieg das mal hin in der Welt und im Betrieb. Immer weiter meine ich, mich dessen, was ich gewagt habe, würdig erweisen zu müssen, selbst jetzt noch, mit dem Hölderlin-Preis in der Tasche. Denn wer weiß! Kann auch ein Missverständnis gewesen sein, das Aushandeln hört nie auf. Man kann es als Sport begreifen, und das versuche ich auch – allerdings am liebsten in der Disziplin, in der ich mich einigermaßen trainiert und halbwegs sicher fühle, also dem literarischen Text.
Weshalb auch diese Dankesrede ein solcher sein muss.
Doch was ist das für ein seltsames Genre? Eine Mischung aus Schulaufsatz, Bekenntnis und Predigt, gerahmt von einem Anlass und doch zugleich offen nach allen Seiten. Auf jeden Fall eine Einladung zum Dialog! Sind Sie noch bei mir? Oh, Hilfe. Ich hoffe.
Ich hätte das mal üben können. Ins Blaue hinein Dankesreden verfassen für Preise, die ich vielleicht eines Tages verliehen bekomme – hab ich nicht gemacht. Wie so vieles andere auch nicht, Hölderlin lesen zum Beispiel. War ganz gewiss ein Versäumnis, zumal jetzt, wo ich denke, ein bisschen Hölderlin täte einer Hölderlin-Preis-Rede gut.
Doch alles, was ich von ihm weiß, stammt aus der Dankesrede meines Vorgängers, meines Vorjahresvorredners hier, Daniel Kehlmann. Der hat von der Macht der Dialektik gesprochen, und dass der größte Dichter der sei, dem es gelinge, sie auszudrücken, ohne sie zu bannen und damit auch schon wieder zu verraten. Das hat mir sehr gut gefallen, daran glaube ich auch. Und hoffe, dass meine Rede zumindest diesem Maßstab standhält – also für Sie nachvollziehbar macht, wie ich gleichzeitig froh und irritiert sein kann ob der Auszeichnung. Was soll sie mir sagen? Bin ich jetzt safe?
Nein, bin ich nicht. Beileibe nicht! Wenn man sich zum Beispiel meinen Leib ansieht. Lebt noch, wird automatisch abgeglichen mit dem, was ich äußere. Verrät mich über den Text hinaus!
„Du scheinst gar nicht glücklich“, hab ich in den letzten Wochen häufig zu hören bekommen. Und dann überlegt, warum eigentlich nicht. Denn natürlich bedeutet mir diese Auszeichnung einiges. Das durch anhaltendes Glücklichsein eindeutig zu bestätigen ist mir allerdings nicht gegeben, dazu bin ich doch zu skeptisch und will, siehe Kehlmann, hier auch behaupten, das sei mein Beruf. Niemals sicher sein zu können, sondern immer weiter nachforschen zu müssen: was denn nun eigentlich stimmt.
Um dann darauf zu kommen, dass es eine Antwort nicht gibt. Sondern nur Worte, Bilder, Szenen, Zeilen, die die Suche begleiten. Zwar bin ich nicht die, die durch ihr Glück und In-Sicherheit-Sein die Idee einer erfolgreichen Schriftstellerinnenkarriere bestätigt, aber ich hab immerhin die Chance erhalten, zu spüren, dass es auf die Art eben auch nicht funktioniert. Wofür ich jetzt auf jeden Fall schon mal danke sagen kann.
Okay, aber wie funktioniert es denn dann? Eines glaube ich zu wissen: Es hört einfach nie auf. Das Unwohlsein bleibt, sonst endete ja die Suche. Wär’s vorbei mit mir als Schriftstellerin. Sicherheit allein gibt’s nicht, sondern nur im Verbund mit Unfreiheit, das weiß nicht nur der Innenminister, das weiß jeder und jede hier im Saal.
Anke Stelling, 1971 geboren, hat in jüngster Zeit viel Anerkennung erfahren. Ihr Roman „Schäfchen im Trockenen“ wird viel gelesen und diskutiert. Im März erhielt sie für dieses Buch, eher als Außenseiterin in einem Kleinverlag angetreten, den Preis der Leipziger Buchmesse. Der Roman stand in der Folge auch auf der Spiegel-Bestsellerliste. Für die Romantrilogie „Bodentiefe Fenster“, „Fürsorge“ und „Schäfchen im Trockenen“ wurde ihr zudem im Juni der Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg verliehen.
Wir drucken ihre Dankesrede zum Hölderlin-Preis mit freundlicher Genehmigung der Autorin leicht gekürzt ab.
Verstanden zu werden gehört zur Sicherheit. Anerkannt zu werden auch. Vielleicht sogar Mainstream zu werden, Bestsellerautorin, übersetzt in vierzig Sprachen und erhältlich in jeder Bahnhofsbuchhandlung – und dann? Unausweichlich einsetzendes Unwohlsein. Da stimmt doch was nicht. Was genau wurde da wohl verstanden? Warum ändert sich dadurch denn nichts? He, Leute, ich hab ernst gemeint, was ich geschrieben habe! Und bin immer noch hilflos und fassungslos und einsam, unsicher ob der Vereinnahmung, befremdet vom Verhalten der Menschen, irrend in Aussagen und Beziehungen, und dann bestimmt auch schon wieder runtergeschrieben, remittiert und am Ende tot. Was ich als Zeichen von Freiheit interpretiere! Schrecklich mühsam, ja, dass man erst im Tod mit dem Leben und Nachdenkenmüssen am Ende ist, aber eine Annäherung an die wirkliche Wahrheit.
Wirkliche Wahrheit – niedlich, nicht? Ich lass das jetzt mal stehen, auch wenn’s mir peinlich ist. Als Zeichen meiner anhaltenden Suche –
Denn was will ich Ihnen eigentlich sagen? Danke und gleichzeitig bitte, Ihr glaubt doch nicht im Ernst, der Hölderlin-Preis sei was wert. Dazu bin ich da, das festzustellen. Das auch durchaus laut zu sagen, und ich tu’s auf die Gefahr hin, undankbar zu wirken und frech. Ihr sollt ruhig sehen, wie ich mich verheddere, und eurerseits hin und her geworfen sein beim Zuhören. Sonst wär das ja hier keine Kunst.
Und die brauche ich, um das Dasein zu ertragen. Künstler und Künstlerinnen, die die Welt durch sich hindurchgehen lassen und greifbar machen in ihrer Darstellung. Ohne halte ich die Welt nicht aus, weder das Schöne – die Preise und die Liebe – noch das Schreckliche – das Nichtwahrgenommenwerden und den Tod. Ich kann mich taub stellen, ablenken, abschotten, hart machen – doch selbst dafür brauch ich etwas auf die Ohren, ein Mantra, eine Melodie, ein buntes Bild oder einen flotten Spruch.
Von jeher habe ich mich an Literatur fest- und in ihr aufgehalten. Als Kind und Jugendliche war mir das nicht so bewusst: Wie ich die Worte von anderen brauche, um mich selbst und was ich erlebe zu fassen zu kriegen. Inzwischen ist mir das klar. Sehe ich mich umhertaumeln und nach Texten greifen, mich in ihnen verlieren und neu zusammensetzen. Irgendwann hab ich begonnen, mich für diesen Halt zu revanchieren, also einzustimmen in den großen Chor. Doch, ich denke, das taugt als Metapher, auch wenn sie ungewohnt fromm tönt: dass ich begonnen habe, selbst die Stimme zu erheben, einen eigenen Ausdruck zu finden, auf dass sich das alles zusammentut und ergänzt.
Und gelesen zu werden ist auch echt der Hammer. Zitiert zu werden gar!
Mitte Mai war ich auf ein Podium in Leipzig eingeladen, es ging um die Utopie von Elternschaft, also eines der Themen, die mich bewegt haben beim Schreiben der letzten Romane, und die Figuren, die ich in diesen Romanen entworfen habe, waren die gemeinsamen Bekannten, die wir plötzlich hatten. Auf die sich Dutzende mir wildfremde Menschen bezogen! Sie können sich vorstellen, wie ich mich gefühlt habe, das ist dann wirklich das Gegenteil von allein. Und geht ganz schnell wieder vorüber.
Während ich das, was ich hier sagen will, aufschreibe, bin ich schon wieder unsicher und allein. Und wie ich jetzt hier stehe, in der vagen Hoffnung, dass Sie nachvollziehen können, was ich meine – keine Ahnung, ob Sie’s überhaupt interessiert. Ob Sie nicht denken, danke, sie könnte jetzt langsam mal zum Schluss kommen oder zum Punkt, wovon redet sie denn überhaupt?
Das dann auch auszuhalten. Das Nichtverstandenwerden in Kauf zu nehmen, dennoch dranzubleiben, Leute zu quälen: mit Ichbezogenheit, der eigenen Befindlichkeit – Achtung, Runterschreibstichwort! –, der Unsicherheit und der Nacktheit, die mit dem Stimmeerheben einhergehen.
Die Zumutung, die man dabei auch ist. Schön, wenn sie durch Zustimmung und Aufmerksamkeit momentan gebannt scheint, doch auf Dauer ist sie das nie.
Wie ich meine Kinder vermisse, wenn ich unterwegs bin. Wie ich weiß, dass ich ihnen peinlich wäre, sie sich sehr weit wegwünschten!, zum Glück sind sie nicht hier. Ich kann sie festhalten, indem ich sie erwähne.
Die Möglichkeit, zu scheitern, den Ton nicht zu treffen, ist Bestandteil jeder Form originären Ausdrucks. Also rette ich mich schnell in ein Zitat.
„Der Hochmut, sich nicht täuschen zu wollen, führt auf geradem Weg in die Sprachunmächtigkeit“, hat Christa Wolf geschrieben, in ‚Kindheitsmuster‘, einem Roman, der über seine eigene Entstehung reflektiert, und dieser Satz ist so ein Beispiel für die Sätze von Kolleginnen und Kollegen, die mir Halt geben in meinem stets von Zweifeln torpedierten Schriftstellerinnendasein.
Denn es gilt, zu akzeptieren, dass es keinen Maßstab gibt. Oder eben nur diesen ungreifbaren, glitschig dialektischen: Ohne es versucht zu haben, hast du’s nicht versucht. Flieh, wenn du kannst, zu Mutti nach Nürtingen! Verschanze dich im Turm und sei für den Rest der Welt verrückt. Aber lass bloß nicht nach in deinem Bemühen, einen Ausdruck zu finden –
Das war übrigens auch der Schluss auf jenem Podium in Leipzig: Ob ich d’accord ginge mit der Forderung an die utopische Gesellschaft, dass in ihr das Scheitern nicht mehr notwendig zu Ausgrenzung und Vereinzelung führt? Oh ja, hab ich gesagt, unbedingt.
Ich will Leben und Schreiben, Eltern- und Preisträgerinsein als ständigen Versuch betrachten. Offen für ehrliche Erfahrung, sichtbare Unsicherheit, nicht nachvollziehbare Anmaßung, Zurückweisung, Wiederaufnahme. Erst zu Ende mit dem Tod.
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