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Von Roboterfrauen und Verteidigungshaltungen

Training gegen Femizide in der Zukunft und Erinnerungen an koreanische Zwangs­prostitutierte: In der Reihe „Limited Edition“ zeigen junge Choreograf*innen ihre ersten Arbeiten

Von Katrin Ullmann

Was für ein Thema für den zeitgenössischen Tanz: Im vierten Teil seines Romans „2666“ – „Verbrechen“ – beschreibt Robert Bolaño die regelmäßigen Leichenfunde von Ciudad Juárez, der seit Anfang der 1990er-Jahre im Norden Mexikos andauernden Mordserie. Die meisten Morde wurden nicht aufgeklärt.

Nüchtern, akribisch zählt der chilenischen Schriftsteller die Fakten auf, eingeflochten sind Erzählungen vom Alltag ermittelnder Polizisten oder berichtender Journalisten. Ein Beispiel: „Mitte November fand man im Barranco de Podestá die Leiche einer Frau. Sie hatte zahlreiche Schädelbrüche, und Hirnmasse war ausgetreten. Spuren an ihrem Körper deuteten darauf hin, dass sie sich gewehrt hatte.“

Die Choreografin Yolanda Morales hat ihre Choreografie mit „2666“ betitelt. Und bezieht sich, neben dem brutalen Femizid, der in Bolaños Roman verhandelt wird, auf die Frage, wie man – wie der Autor Bolaño – sowohl fiktiv, als auch dokumentarisch arbeiten kann: „Wie kann man Fakten, Zahlen, Namen in einem Kunstwerk nennen? Wie kann man ein Thema, das Dir selbst nah ist, in eine ästhetische Kunstform übertragen?“

Das sind Fragen, die die gebürtige Mexikanerin während ihres Projekts im Rahmen von „Limited Edition“ im Choreografie-Zentrum K3 umtreiben. Es ist ihre erste große Choreografie – denn das ist die Rahmenbedingung für die Reihe, die eine Nachwuchsförderung der Kulturbehörde Hamburg voraussetzt. Es ist Morales’erstes größeres Stück außerhalb der Hochschule, ihre Mitstreiter*innen bei dieser Ausgabe von „Limited Edition“ sind Su Ju Kim sowie die Künstlergruppe Coralie Merle, Jasiek Mischke und Mark Christoph Klee. Die Arbeiten aller drei Teams werden am 4. und 5. Juli en suite zu sehen sein.

In „2666“ erstellt Morales ein Szenario, wie selbstbestimmt die Zukunft der Frauen, vielleicht die des Jahres 2666, aussehen wird; wie sehr sie sich schützen müssen, wie sehr sie sich abschotten und mechanisieren müssen. Sie fasst den Begriff des Femizids weiter, über das eigentliche Verbrechen hinaus, und macht ihn zum Gender-Thema.

Düstere Zeiten für Frauen

Morales’Vision ist apokalyptisch. „Vielleicht wird es so sein, dass jede Frau, bevor sie das Haus verlässt, erst mal ein Training absolvieren muss – eines, das 2.666 Sekunden dauert?“ Ein Training, das sie stärker, schneller, aber auch unmenschlich und mechanischer macht. „Je mechanisierter die Abläufe und deren Wiederholungen werden, desto roboterhafter, systematischer erscheinen die Bewegungen“, erklärt Morales.

Und dann ist der Schritt zur Künstlichkeit eines Videospiels gar nicht mehr weit und völlig beabsichtigt. Das Setting ihrer Choreografie wird entsprechend eine Mischung aus Videospiel und Straßenszene sein, in dem die Performer auf einem Laufsteg agieren – vom Publikum umrahmt, das zum Zeugen der Situation wird und vielleicht sogar zum (Mit-)Täter.

Die Choreografin Su Jun Kim widmet sich einem ähnlich ungelöstem Thema, das ihr ihre eigene Nationalität vor die Füße geworfen hat. Die Südkoreanerin arbeitet mit den Trostfrauen, wie sie verharmlosend genannt werden. Zwischen 1910 bis 1945 stand Korea unter japanischer Kolonialherrschaft, die Besatzer versorgten sich mit Zwangsprostituierten. Schätzungen vermuten bis zu 300.000 betroffene Mädchen und Frauen.

Nach 1945 wurden viele Dokumente vernichtet, aus Sorge, die beteiligten Männer könnten als Kriegsverbrecher zur Rechenschaft gezogen werden. Erst spät, ab Ende der 1980er-Jahre, meldeten sich nach und nach ehemalige Zwangsprostituierte zu Wort. 1992 begannen sie, jeden Mittwoch vor der japanischen Botschaft zu protestieren. Bisher gab es neun große Sammelklagen gegen die japanische Regierung, die alle scheiterten. Erst Ende April 2007 entschied Japans höchstes Gericht, dass die „Trostfrauen“ keinen Anspruch auf Entschädigung haben.

Durch den Film von Cho Jung-rae „Spirit’s Homecoming“ aus dem Jahre 2016, der das Schicksal zweier jugendlicher Trostfrauen erzählt, kam Su Jun Kim auf das Thema. Voller Emotion und voller Scham sei sie nach der Filmvorführung gewesen und habe den starken Impuls verspürt, dieses viel zu unbekannte Geschichtskapitel einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. „Das Thema beschäftigt mich auf verschiedenen Ebenen zugleich: als Frau, als Künstlerin und natürlich auch als Koreanerin.“

Besser gescheitert

Gemeinsam mit einem Tänzer wird sie es in ihrer Arbeit „Mein Bild von Dir“ auf die Bühne bringen. Beide Performer werden (zunächst) in historischen Frauenkleidern tanzen. „Wir leiden sehr unter diesen Kostümen. Der Stoff und der Schnitt lassen keine großen, tänzerischen Bewegungen zu“, erzählt Su Jun Kim. Es ist auch ein Symbol für die Enge, den Zwang. „Ich kann natürlich überhaupt nicht mitteilen, wie sich die Frauen damals gefühlt haben“, gesteht sie ein, „aber ich will, dass diese Geschichte offengelegt wird und man sich daran erinnert.“

Die dritte Choreografie „Trial and“, die im Rahmen von „Limited Editon“ gezeigt wird, erarbeiten Coralie Merle, Jasiek Mischke und Mark Christoph Klee. Es ist eine Arbeit über das Ausprobieren und das Scheitern. Ein notwendiges Scheitern, eines das ausdrücklich positiv konnotiert ist. Der Ankündigung zufolge wird aus diesem Prozess eine Arbeit entstehen, die im Spannungsfeld zwischen Text und Bewegung zu Hause ist und das eigene Verständnis des Scheiterns hinterfragt. Ein bisschen wie in dem berühmten Beckett-Zitat: „Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“ Was kann jungen Choreograf*innen Besseres passieren?

Do/Fr, 4./5. 7., 19/20/21 Uhr, Kampnagel

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